„Manche sind am Zusammenbrechen, das muss man so klar sagen“
RIED. Künstler, vor allem freischaffende, gehören zu den Berufsgruppen, die unter der Pandemie am schwersten zu leiden haben. Tips sprach mit dem Vorsitzenden der Innviertler Künstlergilde (IKG), Walter Holzinger, über die Situation der heimischen Künstler.
Tips: Wie ist die Situation der Innviertler Künstlergilde – für die Organisation und für die einzelnen Künstler?
Holzinger: Wir haben unseren Treffpunkt „Gilde“ sukzessive aufgebaut, und gerade, als er gut angenommen wurde, kam der Cut. Alle Planungen für die nächsten ein bis zwei Jahre sind ins Wasser gefallen. Uns hat eine richtige Schockstarre erwischt. In diesem Status der Unsicherheit und Unplanbarkeit sind wir lange hängen geblieben. Das machte uns sehr zu schaffen, aber wir wollten den Kontakt zu einander und zum Publikum nicht verlieren.
Die Auswirkungen auf die einzelnen Künstler sind sehr unterschiedlich. Manche sind am Zusammenbrechen, das muss man so klar sagen. Aber viele haben auch aus dieser Zeit geschöpft.
Die aktuelle Ausstellung „In Vitro“ spiegelt die kollektive Situation wider, mit den Einmachgläsern als plakative Darstellung der Isolation der Künstler. Trotzdem bildet sie als Ganzes eine Einheit.
Es gab Förderungen für die Gilde, aber die erhalten nicht einzelne Schaffende, sondern die Gemeinschaft. Ob es für die einzelnen reicht, hängt maßgeblich davon ab, ob sie von der Kunst alleine leben oder ob sie noch einem Beruf nachgehen.
Tips:Wer hat in dieser Situation mehr Probleme – bildende Künstler, Literaten oder Musiker?
„Für die Literaten und Musiker ist es am schlimmsten“
Holzinger: Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich glaube, für die Literaten und Musiker ist es am schlimmsten. Die brauchen die Bühne. Einige Musiker in der Gilde leben davon, die hat es besonders schwer erwischt.
Tips:Können die Lockdowns für manche sogar eine Chance für mehr bzw. konzentriertere Arbeit sein? Wird in manchen Fällen kreative Energie geweckt, die es ohne diese Situation nicht gäbe?
Holzinger: Ich glaube, dass die Lockdowns für manche wirklich eine Chance sind, aber vor allem zum Umdenken bei den eigenen Strategien und der Herangehensweise. Da hat sich einiges verschoben. Ich glaube, gewisse Dinge haben größeren Tiefgang bekommen. An sich ist der kreative Prozess sehr intim. Aber auch bei der Arbeitsweise der Schaffenden können sich andere Ansätze ergeben.
Ich habe Rückmeldungen von einem Großteil der Kollegen, dass das Tun, Denken und Umsetzen intensiver geworden ist. Es gibt sicher einige Erkenntnisse, die es ohne die Pandemie nicht geben würde, zum Beispiel, dass an gewisse Dinge noch sensibler herangegangen wird. Es ist fast wie in der Archäologie, wenn man Schicht für Schicht bei sich selbst entdeckt. Das Besinnen auf das ureigene Ich ist sehr verstärkt, teilweise sogar so weit, dass sich der Ton geändert hat und die Wortwahl überlegter wurde.
„Am meisten fehlt uns der Diskurs mit anderen Künstlern und dem Publikum“
Tips:Was fehlt den Künstlern am meisten?
Holzinger: Am meisten fehlt uns der Diskurs mit anderen Künstlern und dem Publikum, der Austausch und auch die Reibung. Ich bin überzeugt, dass viele das Künstlersein für sich selbst überdacht und hinterfragt haben. Das sind schon ertragreiche Gedanken. Selbstreflexion und Entschleunigung sind gar nicht so schlecht.
Ich befürchte, dass wir ein gewisses Potenzial an Kulturinteressierten verloren haben. Zum Beispiel war unser Kontakt zu den Schulen ein Jahr lang komplett weg. Gerade in der Altersgruppe von 16 bis 18 ist da viel weggefallen. Die Lehrer haben das immer sehr gut vorbereitet, da gab es viel Interesse und Neugier. Da ist im schlimmsten Fall ein ganzer Jahrgang verloren.
Tips:Können Aktionen wie beispielsweise die Kunstauktion „Rotarty“ vom KiK und dem Rotary Club im vergangenen Herbst helfen?
Holzinger: Diese Aktion war für uns in der Künstlergilde eines der Highlights 2020 und schwingt immer noch nach. Ich bin dankbar für die Gemeinschaft und den Teamgeist, der dabei entstanden ist. Die Auktion war sehr erfolgreich – obwohl sie wegen der beginnenden zweiten Welle nur online stattfinden konnte, wurden alle Werke verkauft.
„Wir werden die Leute anfangs nicht bei den Wirten rausbekommen“
Tips: Welche Hoffnungen verbinden die Künstler mit den geplanten Öffnungen ab 19. Mai?
Holzinger: Ich stelle mir das vor wie das Musikstück „Die Moldau“ von Smetana. Es beginnt erst langsam, nimmt dann Fahrt auf und zum Schluss kommt eine Dynamik und Energie dazu, die alles mitreißt. Ich glaube nicht, dass das kulturelle Leben mit einem Schlag wieder zu hundert Prozent da ist, auch wenn gleich zu Beginn sehr viele Veranstaltungen geplant sind. Wir werden die Leute anfangs nicht bei den Wirten rausbekommen, weil ihnen das am meisten gefehlt hat.
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