„Man muss Sicherheit und Verteidigung neu denken“
WIPPENHAM. Einer der bekanntesten österreichischen Offiziere, Brigadier Walter Feichtinger, stammt aus Wippenham. Er hat in Ried das Gymnasium besucht und auch einige Zeit in der Kaserne in Ried gearbeitet. Seit November letzten Jahres ist er in Pension. Walter Feichtinger ist mit seinen Analysen vielen aus Radio und Fernsehen bekannt. Im Interview erzählt der Bundesheerexperte über seinen Werdegang und seine Sicht auf zentrale Fragen der Sicherheitspolitik.
Sie sind in Wippenham aufgewachsen, haben hier die Volksschule besucht und sind dann ans Gymnasium in Ried gewechselt, wo Sie 1975 maturiert haben. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit in Wippenham? Was hat Sie bei Ihrem Aufwachsen im Innviertel geprägt?
Feichtinger: Nur kurz einige Eindrücke aus dieser Zeit: Wir hatten keinen Spielplatz – das war auch nicht nötig, denn der ganze Ort war unser Spielplatz. Die Schulklassen wurden gemeinsam geführt – dennoch haben wir sehr viel gelernt. Und begeisternde Musiklehrer sowie engagierte Fußballtrainer haben für das Freizeitprogramm gesorgt. Kurzum: Es war ein Aufwachsen in großer Freiheit, aber auch Eigenverantwortung. Nach Ihrer Matura gingen Sie als Einjährig-Freiwilliger zum Bundesheer und absolvierten dann von 1976 bis 1979 die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt.
Was hat Sie damals zum Einstieg ins Bundesheer bewogen? Warum haben Sie die Offizierslaufbahn eingeschlagen?
Feichtinger: Für meinen Entschluss, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, gab es ein Schlüsselerlebnis. In der siebenten Klasse Gymnasium absolvierten wir einen Schnuppertag beim Bundesheer in Ried. Ein junger Leutnant erklärte uns äußerst eindrucksvoll, worauf es als Soldat ankommt und wie die Ausbildung an der Militärakademie erfolgt. Das waren genau die Punkte, die mir so vorschwebten: viel erleben, in Österreich herumkommen und den Horizont erweitern. Ab diesem Zeitpunkt war für mich klar, dass ich alles daran setzen werde, mich für die Offiziersausbildung zu qualifizieren. Das war wirklich nicht leicht, aber für einen entschlossenen, jungen Innviertler schon zu schaffen. Als Truppenoffizier hatte ich die großartige Möglichkeit, Menschführung in der Praxis zu trainieren. Das bedeutet: Ziele definieren, motivieren, Teamgeist fördern und in Krisensituationen einen kühlen Kopf zu bewahren.
Sie haben dann nebenberuflich Politikwissenschaften und Publizistik studiert und sich in Ihrer Doktorarbeit mit der Frage der Streitkräfte als Instrument zur Lösung innerstaatlicher Konflikte insbesondere im Jugoslawienkrieg beschäftigt. Welche Aufgaben in der Landesverteidigungsakademie und auch als hochrangiger Berater waren in besonders wichtig?
Feichtinger: Nachdem ich bereits als Hauptmann das Kommando über das Panzerbataillon 10 in St. Pölten übernommen hatte, stellte sich die Frage, wie es dann weiter gehen könnte. Nachdem mich Sicherheitspolitik schon immer faszinierte, entschloss ich mich, in meiner Freizeit zu studieren und den Horizont abermals zu erweitern. Hier gebührt meiner Frau größte Anerkennung, die neben ihrer selbständigen Tätigkeit als Facharzt die Betreuung unserer beiden Kinder übernahm und den Haushalt führte, um mich freizuspielen. Aber der Aufwand hat sich gelohnt, denn ich bin in eine neue Welt eingetaucht, die sicherheitspolitische Forschung. Was führt zu bewaffneten Konflikten, wie werden Kriege heute geführt, wie kann man den Teufelskreis durchbrechen und wieder zu Frieden finden? Das waren meine zentralen Fragen. Diesen bin ich während des Studiums und meiner Tätigkeit als Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie nachgegangen. Es war dabei äußerst wertvoll, auch kurze Zeit als Berater im Bundeskanzleramt tätig zu sein, denn das hat mir geholfen, die politischen Entscheidungsgrundlagen und Abläufe in Österreich von innen kennenzulernen.
Sie haben zahlreiche Beiträge in den Bereichen Konfliktforschung und Sicherheitspolitik verfasst und sind Mitherausgeber mehrerer wissenschaftlicher Buchreihen. Welche sicherheitspolitischen Fragen sind Ihrer Meinung nach für Österreich in den kommenden Jahren von besonderer Bedeutung? Worin sehen Sie mittelfristig die zentralen Aufgaben des österreichischen Bundesheeres?
Feichtinger: Wie wir gerade bei der Covid-Pandemie sehen, ist Sicherheit ein äußerst breites Feld. Das ist die erste große Herausforderung – Sicherheit umfassend zu verstehen und dafür vorzusorgen. Man muss Sicherheit und Verteidigung neu denken. Die zweite Herausforderung liegt darin, über Österreich hinaus die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Denn weder Viren, noch Terroristen oder Cyberangreifer kennen keine Grenzen, daher ist die Zusammenarbeit auf EU-Ebene von größter Bedeutung. Dazu gehört auch der Aufbau von gemeinsamen militärischen Kapazitäten. Das ist längst in den Verträgen niedergeschrieben, aber die Realisierung hinkt deutlich hinter den Absichten her. Dabei geht es immer mehr darum, dass Europa für die eigene Sicherheit sorgen und sich im globalen Wettbewerb behaupten muss, um nicht zum Spielball Chinas, der USA oder Russlands zu werden. Das Bundesheer wird sowohl bei den strategischen Planungen als auch bei allen möglichen Einsätzen weiterhin eine zentrale Rolle spielen – denn das ÖBH ist die strategische Handlungsreserve Österreichs. Allerdings wird das Aufgabenfeld immer größer: zum Beispiel Unterstützung bei der Covid-Testung, Katastropheneinsätze, Cyberabwehr, Grenzschutz, Luftraumüberwachung, internationale Friedenseinsätze und wenn es drauf ankommt: der konventionelle Kampf mit militärischen Mitteln. Denn das bleibt die Kernaufgabe des Bundesheeres. Vieles davon ist in internationaler Zusammenarbeit zu bewältigen.
Sie sind vor kurzem aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Haben Sie besondere Pläne für Ihre Zeit im Ruhestand?
Feichtinger: Nachdem der Ruhestand ja nicht überraschend gekommen ist, habe ich vorgesorgt und schon vor Längerem das Center für Strategische Analysen gegründet. Dabei handelt es sich um eine sicherheitspolitische Plattform, auf der ausgewiesene Expertinnen und Experten, die ich persönlich schätzen gelernt habe, ein- oder vierseitige Artikel verfassen und zur Verfügung stellen. Schwerpunkte sind Geopolitik, strategische Trends und die Außenpolitik Chinas. Machen Sie sich einfach ein Bild unter www.csa-austria.eu. Dann können Sie auch erkennen, womit ich mir als Ruheständler die Zeit vertreibe. Aber viel wichtiger ist, dass ich nun mehr Zeit für meine Frau und die Familie habe – die richtige Balance muss ich allerdings erst finden.
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