Corona-Auswirkungen treffen benachteiligte Jugendliche besonders
RIED. Nach eineinhalb Jahren Pandemie zeigt sich auch bei den Rieder Streetworkern, wie stark viele Jugendliche und junge Erwachsene unter den Auswirkungen leiden. Die Freunde, die vertrauten Tagesabläufe und die Abwechslung fehlen. Darüber hinaus berichten den Streetworkern Ärzte und Therapeuten von einer massiven Zunahme bei der Zahl verhaltensauffälliger Kinder.
Die Streetwork-Arbeit richtet sich an Einzelpersonen und Gruppen (13 bis 25 Jahre), die das bestehende Hilfesystem nicht in Anspruch nehmen, nehmen können oder durch bestehende einrichtungsgebundene Angebote nicht oder nicht ausreichend erreicht werden. Die Rieder Streetworkerin Kerstin Hofstätter: „Bei aller Verschiedenheit haben die Zielgruppen den Aspekt der sozialen Benachteiligung gemeinsam.“
Gerade diese Jugendlichen aus benachteiligten Familien leiden besonders schwer unter den Folgen der Corona-Krise. „Ohne ausreichend finanzielle Mittel können zum Beispiel Computer, gut funktionierende Internetanschlüsse oder Drucker nicht angeschafft werden“, erklärt der Streetworker Harald Deschberger, der seit Mitte September das Streetwork-Team in Ried bereichert.
Intensivere Fälle
Kerstin Hofstätter führt weiter aus: „Wir haben im Moment sehr viele junge Menschen, die den Halt verlieren und Orientierung sowie Zuversicht suchen. Es gibt zwar keinen bedeutenden Zuwachs an Klienten, dafür sind die bestehenden Fälle in der Einzelfallarbeit – da haben wir etwa 90 Fälle – angespannter, vielschichtiger und intensiver geworden.“
Hofstätter schildert ein Beispiel: „Ich habe zum Beispiel ein junges Mädchen, die ihren Traumjob nun als Influencerin auf Instagram verfolgt. Weil sie immer daheimbleiben musste, Treffen draußen nicht mehr stattfanden, hat sie sich in der virtuellen Welt einer Mädchengruppe angeschlossen, die nicht nur ihre Fotos posten, sondern in der wettkampfmäßig um die meisten verlorenen Kilos gerungen wird. Sie mag das sehr; sie nervt nur, dass in der Coronazeit ihre Haut so schlecht geworden ist, weil sie sich wegen eines Waschzwangs ständig waschen muss.“
Ein anderer Fall sei ein junger Mann, der die Streetworker frage, wofür er sich überhaupt noch bewerben solle. „Er sieht keinen Sinn, keine Zukunft für sich. Er meint, dass kein Mensch wüsste, wie das mit der Pandemie noch weitergeht. Sein Vater ist arbeitslos geworden und die Schwester hat ihren Ausbildungsplatz verloren. Überhaupt wäre zu wenig Platz daheim. Er gehe dann lieber raus, aber draußen mögen ihn die Leute nicht und für die eingefangene Corona-Verwaltungsstrafe, weil er den Abstand nicht eingehalten hat, wird er noch über ein Jahr Raten zahlen müssen.“
Dominik Herrmannsdörfer, Geschäftsführer des Vereins I.S.I.-Streetwork, stellt klar: „Wenn sich Jugendliche nicht an die Coronaregeln halten, wird das aus Erwachsenensicht häufig als unsolidarisch bewertet. Als alternative Interpretation können Regelübertretungen allerdings auch als Reparaturmechanismus und als Sensor für psychologische oder soziale Probleme gesehen werden. Strafminderungen oder Einstellungen der Verfahren seitens der Behörden in finanziell angespannten Lebenssituationen wirken dabei sehr entlastend.“
Unterstützung anbieten
Kerstin Hofstätter hofft, dass die Not von Kindern und Jugendlichen in Österreich politisch angekommen ist. Speziell im Bereich psychische Gesundheit müsse weitergekämpft werden. „Wir sollten in jedem Bezirk Unterstützung in Form von Psychotherapie für die jungen Menschen schnell, unbürokratisch, niederschwellig und kostenfrei anbieten können“, fordert die Sozialarbeiterin.
„Wir dürfen jene Jugendlichen nicht vergessen und zurücklassen, die belastet oder benachteiligt sind, die emotional und körperlich vernachlässigt werden und die sozial isoliert sind. Sie alle brauchen unsere Unterstützung und Teilhabechancen“, erklären die beiden Rieder Streetworker.
Verein I.S.I. – Initiativen für soziale Integration
Kerstin Hofstätter, Harald Deschberger – Streetwork Ried
Wohlmayrgasse 7 / Top 1,
4910 Ried im Innkreis
Tel. 0664/2344 214; www.verein-isi.at
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