Weitere Angebote

Sociale Medien

Kontakt

Streetwork in Ried: „Wir haben hier alle Schichten und Kulturen“

Walter Horn, 12.09.2022 14:14

RIED. Im September feiert Streetwork Ried sein 25-jähriges Bestehen mit einem großen Fest am 23. und 24. September. Kerstin Hofstätter (48) ist von Anfang an dabei.

Kerstin Hofstätter ist „das Gesicht“ von Streetwork Ried. (Foto: Maidje Meergans)
Kerstin Hofstätter ist „das Gesicht“ von Streetwork Ried. (Foto: Maidje Meergans)

1996 gab das Land OÖ dem Verein ISI (Initiative für soziale Integration) den Auftrag, die Streetwork-Stellen in ganz Oberösterreich auszubauen – Ried war dann 1997 so weit. Damals waren es zwei Stellen mit je 40 Stunden, heute sind es zwei mal 37 Stunden. Die Arbeit ist aber nicht weniger geworden, im Gegenteil. Zurzeit arbeitet Hofstätter mit Harald Deschberger zusammen.

Mittlerweile akzeptiert

Mittlerweile ist Streetwork aus Ried nicht mehr wegzudenken. Das war aber nicht immer so. „Jetzt sind wir akzeptiert, aber dazu war über Jahrzehnte viel Aufklärungsarbeit nötig. Am Anfang wusste niemand, was Streetwork ist. Die ersten drei oder vier Jahre waren kein Zuckerschlecken“, erinnert sich Kerstin Hofstätter. „Wir mussten uns ständig bei der Polizei rechtfertigen und uns wurde vorgeworfen, eh nur Steuergelder zu verschwenden.“

Bei den Jugendlichen sei das anders gewesen: „Die waren von Anfang an begeistert und haben uns auch viele Wege geebnet.“ Von manchen wurden die Streetworker sogar erwartet, erzählt Hofstätter schmunzelnd: „Als wir unser erstes Büro im alten Feuerwehrhaus am Marktplatz aufsperrten, fanden wir einen Zettel auf dem Boden: 'Hallo, Streetworker, wo seid ihr. Wir warten schon auf euch im Brauerei-Park. Eure Punks.'“

Weil Streetwork in Ried zuerst auf drei Jahre befristet war, hätten manche Jugendlichen schon überlegt, was sie anstellen sollen, damit Streetwork bleibt.

Neben der klassischen Arbeit hat Streetwork Ried auch Aktionen durchgeführt wie das Fotoprojekt „your viewture“ 2001, die Skaterfilme im Star Movie, die Ausstellung „Hautkontakt“ 2014, die Aufführung des Nazar-Films oder aktuell die Anwaltsvideos auf TikTok.

Fortgehverhalten anders

Die Themen sind weitestgehend gleich geblieben. Es geht vor allem um Arbeit, Ausbildung, Familie, Geldsorgen, Wohnen, Sucht, Gewalt, Polizei und Gerichtsprozesse.

Bei der Kontaktaufnahme muss Streetwork aber neue Wege gehen: „Wir sind auf allen relevanten Sozialen Medien vertreten, zum anderen hat sich das Fortgehverhalten stark verändert. Früher hatten die Jugendlichen Sitzfleisch. Jetzt heißt es, gut informiert zu sein, wo sie gerade sind.“

Insgesamt sei es ruhiger geworden, nicht zuletzt, weil es in Ried keine jugendrelevanten Lokale mehr gebe. „Früher hätte man sich nicht vorgestellt, dass Tankstellen zu Treffpunkten werden.“

Rückzug der Jugendlichen

Generell bemerken die Streetworker, dass sich die Jugendlichen immer mehr aus dem öffentlichen Raum, den Straßen und Plätzen, zurückziehen – zum Teil wegen der Überwachung und den Sanktionen während Corona, aber auch weil offenbar immer mehr Leute die jungen Menschen als störend empfinden und das auch zum Ausdruck bringen.

Kleinere Probleme, die man früher im Gespräch geregelt hätte, führten heute zu einer Anzeigenflut. Dazu komme, dass Ried für eine „scharfe“ Bezirkshauptmannschaft und ein „scharfes“ Gericht bekannt sei. Während der Coronazeit wurde hier – im Gegensatz zu Braunau oder Schärding – viel gestraft. „Wie soll ein Jugendlicher eine Strafe von 1.000 oder 2.000 Euro zurückzahlen?“, fragt Hofstätter. „Eigentlich müssten wir den Jugendlichen etwas zurückgeben.“

Durch Corona, glaubt die Streetworkerin, haben wir eine Generation verloren.

Die meisten Probleme mit Corona hätten die zehn- bis 14-Jährigen. Für viele sei es schwer, wieder in eine Struktur zurückzufinden. Den etwas Älteren werde oft vorgeworfen, dass sie ihre Abschlüsse geschenkt bekommen. „Die Herausforderung ist, mit ihnen wieder in Kontakt zu kommen. In Ried brauchen sie Plätze, auf denen sie sich konsumfrei aufhalten können und wo sie akzeptiert sind.“

Fast 2.000 „Kunden“

Zurzeit haben die zwei Rieder Streetworker zu über 357 jungen Menschen im Alter von 13 bis 25 Jahren im Bezirk Ried Kontakt. Sie arbeiten mit fünf verschiedenen Zielgruppen und leisten für rund 121 junge Menschen Einzelfallhilfe (mehrere Termine in der Woche mit Beratung, Begleitung, Weitervermittlung).

Hofstätter schätzt, dass sich Streetwork Ried in den 25 Jahren mit etwa 1.500 bis 2.000 jungen Menschen intensiv auseinandergesetzt hat – ohne die unangemeldeten „Kurzbesuche“.

Mit einem Vorurteil räumt sie auf: „Wir haben hier alle Schichten und Kulturen.“

Hofstätter weiß, wie sie ihre „Kunden“ behandeln muss: „Ich will klar und transparent sein. Die Jugendlichen brauchen Erwachsene, die es gut meinen, aber eine klare Ansage haben.“

Auch wenn die Arbeit manchmal schwer sei und die „Rucksäcke“ der jungen Leute immer schwerer würden, sagt sie: „Ich liebe die Arbeit auch für das, was man aus diesen jungen Menschen herausholen kann. Im Grunde sind sie alle feine Menschen. Das ist oft wie bei einer Zwiebel – beim Aufschälen gibt es manchmal Tränen, aber man findet den wertvollen Kern. Ich ziehe vor so vielen jungen Menschen den Hut, wenn ich sehe, wie sie ihren Weg machen.“

Hofstätter: „Die schönste Belohnung für mich ist, wenn junge Leute erzählen, wenn etwas für sie aufgegangen ist – sei es, dass sie den Führerschein geschafft, einen Job oder eine Wohnung gefunden oder persönliche Probleme gelöst haben. Oft ist bei denen am meisten herausgekommen, mit denen ich richtig gestritten habe.“


Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.

Jetzt anmelden