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Landflucht: „Dörfer und kleine Städte können ihre Zukunft sichern“

Walter Horn, 31.03.2018 15:33

BEZIRK RIED. Tips beschäftigte sich in den letzten Wochen umfassend mit dem Phänomen Landflucht. Rund ein Drittel der oberösterreichischen Gemeinden ist von Abwanderung betroffen – fast immer in größere Städte oder Ballungsräume.

Landeshauptmann Thomas Stelzer    (Foto: Joachim Haslinger)
  1 / 5   Landeshauptmann Thomas Stelzer (Foto: Joachim Haslinger)

Im Bezirk Ried verzeichneten 16 von 37 Gemeinden von 2010 bis 2016 ein Minus im Zu- und Abwanderungssaldo, im gesamten Bezirk hielten sich Zu- und Abwanderung jedoch die Waage. Neben der Bezirksstadt Ried verzeichnen vor allem die Gemeinden entlang der Autobahn und in der Nähe der dort angesiedelten Betriebe ein Plus. Was neben der Schaffung von Arbeitsplätzen noch getan werden kann, um den ländlichen Raum attraktiv und lebenswert zu erhalten, fragten wir fünf Persönlichkeiten.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die ergriffen werden, um Landflucht in OÖ zu stoppen?

Landeshauptmann Thomas Stelzer

Ein attraktiver ländlicher Raum braucht attraktive Möglichkeiten: Es gilt, Chancen und Perspektiven in den Gemeinden und Regionen zu schaffen, sowohl für die Menschen, die hier leben und arbeiten wollen, als auch für die Unternehmen, die sich am Standort niederlassen oder planen ihren Betrieb auszubauen. Das erfordert Investitionen in die regionale Entwicklung und Infrastruktur: In den Ausbau des ultraschnellen Internets – hierfür nehmen wir in den kommenden Jahren viel Geld in die Hand – und in den Straßenbau und öffentlichen Verkehr. Modernes, günstiges Wohnen für junge Menschen ist ebenso ein Schwerpunkt wie die Gesundheitsversorgung und soziale Einrichtungen vor Ort. Jede Region hat ihre Stärken. Diese müssen gefestigt werden: Ob in den Bereichen Wirtschaft und Forschung, Freizeit und Tourismus oder Landwirtschaft und Produktion. Das steigert die Attraktivität und die Lebensqualität im ländlichen Raum. Und starke Regionen sind das Ziel der oberösterreichischen Landespolitik.

Vor allem junge Frauen ziehen in den Zentralraum, wie kann dem entgegengewirkt werden?

Silke Sickinger, Geschäftsführerin der Regionalmanagement OÖ GmbH

Früher haben die Männer die Heimat verlassen, um in der Ferne zu arbeiten. Mittlerweile ist die Landflucht weiblich geworden. Das birgt Gefahren. Denn Frauen sind der soziale Kitt eines Dorfes. Wenn sie fehlen, geht die nächste Generation verloren. Warum aber gehen die Frauen? Weil es an adäquaten Jobs mit flexibler Arbeitszeit, an Kinderbetreuung, an leistbarem Wohnraum fehlt. Glücklicherweise stellen sich immer mehr Kommunen diesen Problemen. In der Region Steyr-Kirchdorf etwa entwickeln drei Gemeinden zukunftsorientierte Wohnmodelle für junge Erwachsene. Als Partner stehen ihnen die Regionalmanagement OÖ GmbH und die OÖ. Zukunftsakademie zur Seite, das Interesse am Projekt ist mittlerweile auch in anderen Regionen des Landes groß. Der Landflucht aktiv entgegen steuern wir auch mit unserem Leitprojekt „Willkommen Standort OÖ“. Nach einem Check erarbeiten wir gemeinsam mit Gemeinden und Unternehmen umfassende Willkommens-Maßnahmen, mit denen auch Frauen – etwa nach der Ausbildung – die Rückkehr in ihre Region schmackhaft gemacht wird.

Welche Rolle soll der ländliche Raum in Zukunft einnehmen?

Robert M. Bauer, Institut für Organisation und Globale Managementstudien der JKU Linz

Die Stadt ist der Wirtschaftsmotor unserer Zeit. Nur etwas mehr als die Hälfte aller Menschen leben in Städten, die aber erzeugen 80 Prozent unseres Wohlstands. Die Städte werden weiter wachsen. Aber auch Dörfer und kleine Städte am Land können ihre Zukunft sichern, wenn sie sich klar für eine von drei Varianten entscheiden. Variante eins: In der Stadt verdientes Geld wird am Land ausgegeben. Wenn beispielsweise ein ganzes Dorf wie ein einziges Hotel funktioniert, kann es mit klarem Themenschwerpunkt die Städter locken; oder wenn schnelle Non-Stop-Züge ländliche Zentralorte mit dem Stadtzentrum verbinden, kann man in der Stadt arbeiten, aber am Land leben. Variante zwei: Eigene Wertschöpfung am Land. Rund um einzelne große Industriebetriebe am Land können dörfliche und betriebliche Gemeinschaft eins werden. Menschen, die sich entscheiden, miteinander, mit der Natur und von und für einen Betrieb zu leben, leisten oft internationale Spitzenarbeit. Variante drei: Gegenentwürfe zur oft hektischen, digital überwachten und an Konkurrenz und Geld orientierten Stadt haben Berechtigung; das Land kann (Rückzugs-)Raum für Kreative und soziale Experimente bieten.

Sind auf der Verwaltungsebene Tendenzen zur Landflucht bemerkbar und sehen Sie im Bezirk auffallende positive oder negative Entwicklungen?

Yvonne Weidenholzer, Bezirkshauptfrau

In Verwaltungsverfahren in unserem Zuständigkeitsbereich sind Tendenzen zur Landflucht prinzipiell schwer messbar. Generell ist im Bezirk Ried spürbar, dass in der Wirtschaft vermehrt Fachkräfte fehlen. Ich glaube, dies ist darauf zurückzuführen, dass es junge Menschen eher in die Städte und Ballungszentren zieht, insbesondere im Rahmen ihrer Ausbildung oder schulischen Laufbahn. Gleichzeitig ist wahrnehmbar, dass die Bewohner unseres Bezirkes die Vorteile des ländlichen Raumes schätzen und viele nach der beruflichen Ausbildung wieder in den Bezirk zurückkehren. Ich glaube, dass generell Landflucht verhindert werden kann, wenn man im ländlichen Raum den öffentlichen Verkehr weiter ausbaut und Schwerpunkte setzt, um attraktive Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten anzubieten. Die Wohnqualität, das Vorhandensein von örtlichen Nahversorgern und von Kultur- und Freizeitmöglichkeiten dürfen dabei nicht vergessen werden. Das Angebot der Kinderbetreuung spielt eine große Rolle. Wenn wir einen attraktiven Lebensraum mit entsprechenden Möglichkeiten weiterhin anbieten und ausbauen, wird sich auch die Landflucht in Grenzen halten.

Welche Entwicklung ist in den nächsten Jahren für den Arbeitsmarkt im Bezirk Ried zu erwarten und was muss getan werden, um starke Betriebe und gute Jobs im Bezirk zu halten?

Klaus Jagereder, AMS-Bezirksstellenleiter

Ried hat in den letzten Jahren einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Interessante Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten sind entstanden und die Verdienstmöglichkeiten verbessern sich. Seit Jahren gehört Ried zu den Regionen mit den niedrigsten Arbeitslosenquoten! Das lässt auch für die nächsten Jahre eine positive Perspektive erwarten. Allerdings werden sich diese Erwartungen nur erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen weiterhin gut sind. Überlegungen zum Arbeitskräftebedarf dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben. Neben der Verbesserung von Angeboten für die Arbeitnehmer muss weiterhin auf Aus- und Weiterbildung gesetzt werden. Von der Lehre bis zur schulischen Ausbildung sollten neue, innovative und interessante Konzepte erarbeitet und umgesetzt werden. Auch die Öffentlichkeitsarbeit für unsere Region sollte optimal gestaltet werden. Die Menschen müssen wissen, welch tolle Möglichkeiten es im Innviertel gibt und wie lebenswert man hier seine Freizeit gestalten kann.


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