Schwertkampf-Techniken aus dem Mittelalter erwachen zu neuem Leben
ST. PÖLTEN. Seitdem ihn sein Vater als Kind auf mittelalterliche Burgen mitnahm, ist Roland Frühwirt vom Mittelalter fasziniert. Besonders der Historische Schwertkampf hat es ihm angetan, obwohl dieser schon seit Jahrhunderten in Vergessenheit geraten ist.
Der Schweiß glänzt Frühwirt auf der Stirn, als wäre er gerade hoch zu Ross in schwerer Eisenrüstung durch Sturm und Regen gejagt, um rechtzeitig zum Interview zu kommen. „Gibt es hier etwas zu trinken?“, fragt der 36-Jährige mit trockener Kehle, sieht sich in der schwach beleuchteten Gaststube um, doch es erscheint keine Magd, bei der man für ein paar Heller einen Humpen Bier bestellen könnte. Dennoch sprudeln ihm die Worte nur so aus dem Mund, denn als moderner Ritter ist man auf Dinge wie diese vorbereitet. Zum Fechten kam Roland Frühwirt durch den Mittelalterverein Wölfe von Dunkelstein, die 2007 mit dem Schwertkampf begannen. Seit November 2015 ist Frühwirt Leiter der Sektion Historisches Fechten bei der Union St. Pölten, die 37 Mitglieder zählt. „Unter Martial Arts fällt vielen immer die asiatische Kampfkunst ein. Keiner weiß, dass es Martial Arts auch in Europa gegeben hat“, erzählt der gelernte Elektroinstallateur, der mit seinem blonden Vollbart wie ein stattlicher Ritter aussieht. Nur das gelbe T-Shirt und die Jeans verfälschen diesen Eindruck etwas.
Die Liechtenauer-Lehre
Wurde der Historische Fechtkampf im 13. und 14. Jahrhundert in erster Linie von Adeligen gelehrt, entwickelte er sich im 15. und 16. Jahrhundert immer mehr zum Breitensport auch des Bürgertums. Ab dem 15. Jahrhundert wurden die Techniken in sogenannten Fechtbüchern niedergeschrieben. Später geriet der Historische Fechtkampf jedoch in Vergessenheit. Neue Waffengattungen wie das aus Musketierfilmen bekannte Rapier (Degen) lösten das 1,35 Meter lange und etwa 1,4 Kilogramm schwere Langschwert ab. Das Wissen über den Historischen Fechtkampf verdankt man heutzutage alten schriftlichen Aufzeichnungen, von denen die ersten bis ins 13. Jahrhundert zurückgehen. Dem deutschen Fechtmeister Johannes Liechtenauer ist es zu verdanken, dass zumeist nur mündlich überlieferte Kampftraditionen aus ganz Europa gesammelt und in der sogenannten Liechtenauer-Lehre niedergeschrieben wurden. Ab dem Zeitalter des Internets wurden die alten Fechtbücher digitalisiert und man begann in den 90er-Jahren die darin beschriebenen Kampftechniken zu rekonstruieren. Da die Fechtbücher im Neuhochdeutschen verfasst wurden, stieß man immer wieder auf Schwierigkeiten in der Übersetzung und folglich auch in der Nachahmung der Illustrationen. „Ich habe jedes der Bücher schon 25-mal gelesen und jedes Mal entdeckt man etwas Neues“, erzählt Frühwirt.
Langschwerter sind kein Spielzeug
Das Langschwert des Historischen Fechtkampfs wird mit zwei Händen geführt. Primär handelt es sich um eine Stichwaffe, die auf freie Stellen einer Vollrüstung wie auf den Bereich unter den Achseln, auf die Halsgegend oder das Gesicht abzielt. Gefährlich ist das Fortgeschrittenen-Training, das die Union St. Pölten in der Volksschule Radlberg abhält, dennoch nicht. Die meisten Fechtfedern (Schwerter) haben abgerundete Spitzen, die Fechtmaske ist mit einem Seiten- und Hinterkopfschutz ausgestattet. Zusätzlich schützen ein Wams sowie gepolsterte Handschuhe, Hals-, Hand- und Beinprotektoren. „Die meisten Unfälle kommen vom Plädierln, nicht vom Kampf selbst“, erzählt Frühwirt, der sich auf diese Weise schon einmal den Mittelhandknochen gebrochen hat.
Filme vermitteln falsches Bild vom Mittelalter
Mittlerweile schätzt man die Anzahl der Anhänger des Historischen Fechtens auf rund 200.000. Sogar in Ländern wie den USA, Mexiko, Südafrika und auch in Asien, wo es eigene Schwertkampf-Traditionen gibt, gibt es aktive Sportler. Schade findet Frühwirt nur, dass viele Hollywood-Filme ein völlig falsches Bild vom Mittelalter gezeichnet haben. „Vieles, was man über das Mittelalter weiß, kann man streichen. Besonders die Ausstattung in den Filmen hat mit der damaligen Zeit nichts zu tun“, kritisiert der Fechter, der stattdessen den Kurzfilm „Wölfe“ der Gruppe Dreynschlag (siehe YouTube) empfiehlt, eines Vereins für Historisches Fechten aus Wien. Darin geht es um eine reisende Familie, die von einer Räuberhorde überfallen wird, wobei versucht wurde, die Kampfszenen als auch die Ausstattung möglichst detailliert umzusetzen. Anfängerkurse im Historischen Fechten finden bei der Union St. Pölten jährlich jeweils im Frühling (Februar/März) beziehungsweise im Herbst (August/September) statt (historisches.fechten.stpoelten@gmail.com).
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