Betrieben wird bewusst, dass sie Mitarbeitern mehr bieten müssen
BEZIRK VÖCKLABRUCK. Karin Gerhart leitet seit 12 Jahren das Arbeitsmarktservice (AMS) in Vöcklabruck. Tips bat die Schörfingerin zum Interview.
Tips:Bitte beschreiben Sie die aktuelle Lage im Bezirk.
Karin Gerhart: Es gibt 2.023 Arbeitslose (Stand 30. September). 671 Personen befinden sich in Schulungen oder Ausbildungen über Stiftungen usw. Insgesamt sind 3.416 offene Stellen gemeldet, davon 3.250 ab sofort verfügbar. Interessant ist auch, dass die Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent Ende August auf 3,2 Prozent Ende September gesunken ist. Das heißt, es gibt im Bezirk mehr als 300 Arbeitslose weniger.
Tips:Naiv gefragt: Warum kommen diese Zahlen nicht zusammen?
Gerhart: Weil der Großteil des Stellenpotenzials im Bereich Fachkräfte, wie Metalltechnik, Elektrotechnik, KFZ-Mechaniker, Gastgewerbe oder Pflege liegt. Von den 2.023 Leuten, die vorgemerkt sind, haben 848 keine Lehrausbildung, sondern nur die Pflichtschule. Da reden wir also vom Hilfskräftebereich. Diese Zahl ist im Bezirk Vöcklabruck immer relativ gleich – zwischen 40 und 45 Prozent unserer Arbeitssuchenden. Die anderen Gründe für dieses Missverhältnis zwischen Stellen und Suchenden ist die Weitläufigkeit des Bezirks und manche haben kein Auto, gesundheitliche Einschränkungen und so weiter. Aber immer mehr Arbeitgeber sind zu Kompromissen bereit, das AMS unterstützt mit Eingliederungshilfen. Mittlerweile ist der Bedarf an Arbeitskräften so groß, dass die Betriebe von sich aus bereit sind, auch nicht top-ausbildete oder ältere und gesundheitlich eingeschränkte Mitarbeiter aufzunehmen.
Tips:Welche Branchen sind besonders vom Personalmangel betroffen?
Gerhart: Viele Bereiche sind vom Personalmangel betroffen, sehr schwierig ist die Situation im Gastgewerbe. Viele sind während der Corona-Lockdowns in andere Branchen abgewandert, weil sie einen ähnlichen Verdienst bei geregelter Arbeitszeit und am Wochenende frei haben. Sie haben sich nach Alternativen umgeschaut und arbeiten nun beispielsweise statt als Koch nun in der Fleischabteilung im Supermarkt. Wir sind ein starker Gastrobezirk und daher versuchen wir die Leute im Gastgewerbe zu halten, etwa mit Schulungen im eigenen Bereich, aber es ist ganz schwierig sie zu motivieren. Die Betriebe bemühen sich nun, bessere Arbeitszeiten zu bieten oder Unterkünfte bereit zu stellen.
Tips:In der Teuerungswelle wird auch das Gehalt immer wichtiger.
Gerhart: Es mag nicht das einzige Argument sein, aber es macht einen großen Teil aus. Deshalb motivieren wir Unternehmen, bei den Stellenangeboten gleich zu schreiben, was sie mehr als Kollektiv zahlen und nicht nur „Überzahlung möglich“.
Homeoffice-Möglichkeit fast unverzichtbar
Tips:Welche Trends gibt es noch?
Gerhart: Insgesamt sind mehr Leute beschäftigt, die Beschäftigungsquote ist gestiegen in den letzten Jahren. Es gibt mehr Teilzeitbeschäftigung. Für die Generationen, die nachkommen, wird Work-Life-Balance immer wichtiger. In der jetzigen Zeit bin ich gespannt, wo der Trend hingeht, denn es wird jedem bewusst, dass man arbeiten muss, um gut leben zu können. Seit Corona ist generell alles flexibler und schneller geworden. Und die Möglichkeit, Homeoffice anzubieten, ist für Unternehmen mittlerweile fast unverzichtbar. Homeoffice funktioniert in vielen Bereichen, das Vertrauen zu den Mitarbeitenden ist gewachsen.
Tips:Es ist also eine gute Zeit für Arbeitnehmer?
Gerhart: Ich habe von einer Personalistin folgendes gehört: Früher sagte sie Bewerbern, dass sie in der engeren Auswahl sind, jetzt ist es umgekehrt. Die Bewerber sagen den Firmen, dass sie in der engeren Auswahl sind. Das hat sich gedreht. Gut qualifizierte Personen können sich die Firma aussuchen. Es wird den Unternehmen immer mehr bewusst, dass sie den Mitarbeitern mehr bieten müssen. Das machen manche etwa mit dem Zahlen des Führerscheins bei Lehrlingen, mit der Mitgliedschaft bei Fitnesscentern für Mitarbeitern oder auch mit der Homeoffice-Möglichkeit.
Tips:Wie schaut der Lehrlingsmarkt aus?
Gerhart: Ganz aktuell gibt es 370 offene Lehrstellen im Bezirk und 46 Lehrstellensuchende. Im Durchschnitt standen beispielsweise im Vorjahr 51 Lehrstellensuchende 231 gemeldeten offenen Lehrstellen gegenüber. Das heißt auf fünf freie Stellen kommt etwa ein Lehrling. Ein Problem der Lehrausbildung für Jugendliche und für Betriebe ist oftmals die Konzentration auf einige wenige Lehrberufe: bei Mädchen Bürokauffrau, Einzelhandel und Metalltechnik, bei Burschen die Berufe Metalltechnik, Elektrotechnik und Kraftfahrzeugtechnik. Diese Top 3 der gewählten Berufe machen 25,7 Prozent bei Mädchen bzw. 41,5 Prozent bei Burschen aus.
Wertschätzung für Mitarbeiter
Tips:Was raten sie Unternehmen, die dringend Mitarbeiter suchen?
Gerhart: Über dem Kollektivvertrag zu zahlen, das Gehalt muss passen. Jedem Unternehmen muss bewusst werden, dass Mitarbeitende einer der wichtigsten Bausteine eines erfolgreichen Unternehmens sind. Diese Wertschätzung und ein sorgsamer Umgang sollte den Menschen auch entgegengebracht werden. Die beste und günstigste Werbung ist, wenn Mitarbeitende den positiven Geist eines Unternehmens nach außen tragen.
Tips:Ihre Aussicht für die Zukunft, wenn die Energiepreise weiter steigen?
Gerhart: Die Zeit ist sehr kurzlebig, alles kann sich ganz schnell wieder drehen, Sorge und Befürchtungen sind aktuell ein großes Thema. Aber - wir leben in einer wirtschaftlichen starken Region und unsere Systeme funktionieren gut. Arbeitslosigkeit wird mittelfristig voraussichtlich wieder etwas steigen. Generell möchte ich nicht schwarz sehen. Wir haben gelernt mit Krisen umzugehen und gute Lösungen zu finden.
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