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Ukraine-Krise: „Die größte Gefahr ist, dass Europa einfach auf den Krieg vergisst“

Gerald Nowak, 15.06.2022 11:50

WELS. Als Vorstand der Ukrai­nian-Austrian-Association in Kiew und als Paneuropäer hat Stefan Haböck starke persönliche Verbindungen zur Ukraine. Er spricht über seine Verbindung zu Freunden und Kollegen im Kriegsgebiet, die ihn mit Infos versorgen, aber auch über die Zukunft.

Stefan Haböck: „100 Tage sind 100 Tage zuviel Leiden und Schrecken“. (Foto: PE)
Stefan Haböck: „100 Tage sind 100 Tage zuviel Leiden und Schrecken“. (Foto: PE)

Tips: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in der Ukraine?

Haböck: Die Lage ist extrem schwierig. Russland besetzt aktuell rund 20 Prozent der Ukrai­ne, ein Gebiet so groß wie Österreich und die Schweiz oder Tschechien und die Slowakei zusammen. Die Kämpfe im Donbas sind äußerst brutal. Nach den Rückschlägen bei Kiew und Kharkiv konzentriert sich der Vernichtungskrieg nun auf die Region zwischen Kherson im Süden, Donezk und Luhansk im Osten. Es ist weiterhin Schreckliches zu befürchten. Die Berichte aus den befreiten Orten sind erschreckend.

Tips: Wie gesichert sind Informationen aus dem Gebiet. Es ist ja auch eine Schlacht um Bilder?

Haböck: Neben Militärnachrichtendiensten wie der British Defence Intelligence oder Ministerien diverser europäischer Staaten analysieren und veröffentlichen mehrere Institutionen und Think Tanks täglich die militärische Entwicklung. In Österreich analysieren zum Beispiel Experten des Bundesheeres. Diesen Analysen kann man jedenfalls vertrauen.

Tips: Im ersten Gespräch bei Ausbruch des Krieges sprachen sie darüber, wie schlimm es ist, wenn WhatsApp-Nachrichten aus der Ukraine aufpoppen. Wie geht es ihren Freunden und Bekannten. Gibt es Kontakt?

Haböck: Gott sei Dank sind alle am Leben, auch die, die sich im Einsatz befinden. Ein Bekannter wurde bei einem Gefecht verletzt. Alle sind aber soweit okay. Natürlich den Umständen entsprechend: Neben der zerstörten Heimat und den körperlichen Strapazen, die jedem anzusehen sind, kommt die psychische Komponente hinzu. Ein Haus kann man wieder aufbauen, den Anblick vergewaltigter und danach exekutierter Frauen und Männer im Heimatort vergisst man nie wieder.

Tips: Die Welle der Hilfsbereitschaft war zu Beginn groß. Jetzt ist es deutlich ruhiger geworden. Wie kann man den Menschen vor Ort weiter helfen?

Haböck: Es gibt sicherlich einen Rückgang und ja, das Thema ist medial präsent, aber nicht mehr so dominant wie in den ersten Monaten. Das ist aber menschlich verständlich: Niemand kann sich tagtäglich nur mit Krieg beschäftigen. Jedoch möchte ich betonen, dass die Hilfsbereitschaft der Menschen und vieler Unternehmen weiterhin stark ist. Geflohene Ukrainer wurden aufgenommen, Jobs gegeben, viel gespendet. Es gibt noch viele lokale und regionale Hilfsinitiativen, die man unterstützen kann. Das Wichtigste ist aber, dass die europäische Politik die Ukraine weiter unterstützt.

Tips: Viele Dinge des täglichen Lebens werden immer teurer und der Grund heißt sehr oft: Ukrai­ne. Ist das dem Land und den Menschen gegenüber fair?

Haböck: Nein. Natürlich hängen einige dramatische Entwicklungen vom Krieg gegen die Ukraine ab, klar. Aber nicht monokausal. Es ist weltweit eine komplexe Situation. Preise für zum Beispiel Gas stiegen schon ab Herbst 2021 und durch die Pandemie stockten viele Lieferketten, Containerpreise explodierten. China hat erst kürzlich wieder Millionenstädte in den Lockdown geschickt. Im Frühjahr 2021 gab es massive Engpässe bei Halbleitern und vielen Rohstoffen. Natürliche und künstliche Verknappung bei Rohstoffen ist seit vielen Jahren Thema. Zudem, salopp gesagt: Die Ukraine kann ja nichts dafür. Energie und Getreide werden als Waffen eingesetzt. Die Getreideknappheit, die zu einer weltweiten Hungersnot führen wird, wird von einer Besatzungsmacht herbeigeführt, die Getreide stiehlt und nach Syrien bringt, zurückhält oder Getreideterminals wie in Mykolaiv zerstört.

Tips: Es ist jetzt ein bisschen Kaffeesudlesen. Mehr als 100 Tage sind vorbei. Wie gibt es einen Weg heraus in Richtung Waffenstillstand beziehungsweise Frieden?

Haböck: 100 Tage sind 100 Tage zuviel Leiden und Schrecken, aber man darf nicht vergessen: Für die Ukrainer dauert der Krieg schon acht Jahre lang. Die Jugoslawienkriege dauerten knapp ein Jahrzehnt, allein Sarajevo wurde über 1.400 Tage lang belagert. Es kann ein sehr langer Krieg werden. Für die Ukraine geht es um nicht weniger als die Existenz, die von Vernichtung bedroht ist. Ich sehe nach allem, was passiert ist, kein Szenario, wie dieser Krieg rasch beendet werden kann. Die größte Gefahr ist, dass Europa einfach auf den Krieg vergisst, die Menschen müde werden, man sich mit der Situation arrangiert. Das wäre allerdings jedenfalls das Ende der Ukraine und sämtlicher Grundprinzipien in Europa.

 


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