"Es gab nur drei Alternativen: Tod, Verwundung oder Gefangenschaft": die Kriegsjahre des Micheldorfer Landwirts Michael Braunreiter
MICHELDORF IN OÖ/KLAUS AN DER PYHRNBAHN. Er wurde 1944 als junger Familienvater zum Kriegsdienst einberufen, schwer verwundet, amputiert und kehrte als Krüppel heim – aber lebendig. Hubert Braunreiter erinnert sich an das Schicksal seines Vaters Michael, der trotz allem nie den Lebensmut verlor.
Michael Braunreiter war Landwirt in Micheldorf und Familienvater, als ihn der Krieg einholte. Erst spät, im September 1944, wurde er einberufen – zu einem Zeitpunkt, als der Krieg für das Deutsche Reich längst verloren schien. Doch er hatte keine Wahl. „Die Einberufung kam genau an seinem Namenstag – am 29. September 1944. Er war eigentlich überzeugt gewesen, dass er als Landwirt verschont bleiben würde“, erzählt sein Sohn Hubert Braunreiter. „Aber dann war es vorbei mit der Hoffnung.“
Schikanen bei der Ausbildung
Seine Grundausbildung absolvierte Michael Braunreiter in Krumau. Dort erlebte er Schikanen und Missachtung. „Besonders verspottet wurde er immer wieder von einem jungen Ausbildner mit polnischem Akzent. Der konnte den Namen nicht richtig aussprechen und nannte ihn 'Branreteee'“, berichtet der Sohn. Als Michael sich schließlich beschwerte, endete die Situation glimpflich. Der Offizier meinte nur: „Das darf nicht mehr vorkommen. Hau ab.“
Tod, Verwundung oder Gefangenschaft
Im Frühjahr 1945 kam Braunreiter an die Ostfront – in das Gebiet östlich von Berlin: Wriezen, Freienwalde, Eberswalde. Dort gab es nur drei Alternativen: Tod, Verwundung oder Gefangenschaft. Tatsächlich erwog er mit einem Kameraden sogar, sich gegenseitig einen sogenannten Heimatschuss zuzufügen – eine Verwundung, die sie von der Front befreit hätte. „Aber sie verwarfen den Plan. Die Angst, dabei erwischt zu werden, war zu groß“, sagt Hubert Braunreiter.
„Der Fuß oder das Leben“
Es kam dennoch zur Verwundung: Ein Granatsplitter traf Michael Braunreiter am Oberschenkel. Ein unbekannter Kamerad zog ihn aus der Gefahrenzone. „Im Lazarett wurde die Wunde anfangs nicht ernst genommen. Man sagte, es sei nur eine Hautabschürfung“, erinnert sich der Sohn. Doch die hygienischen Zustände waren katastrophal. Ohne Verbandsmaterial wurde die Wunde mit Zeitungspapier umwickelt. Eine schwere Infektion war die Folge. Die Entscheidung des Arztes war drastisch: „Der Fuß oder das Leben.“ Es folgte zuerst eine Unterschenkel-, dann eine Oberschenkelamputation.
Genesung unter britischer Aufsicht an der Nordsee
Nach Kriegsende übernahm ihn das britische Militär. Er wurde auf die Nordseeinsel Föhr gebracht, ins Lazarett in Wyk. Dort blieb er mehrere Monate. Ein seltener Brief vom 22. Jänner 1946 zeugt von dieser Zeit: „Jetzt bin ich doch endlich einmal ausgeheilt. Jetzt brauche ich nur noch die Prothese. Heute sind wir alle von der Wehrmacht entlassen worden.“ Ein Satz aus dem Brief berührt besonders: „Hoffentlich werde ich doch nicht verachtet, wenn ich als Krüppel nach Hause komme. Das wäre für mich noch das Allerfürchterlichste.“ In einem anderen Brief an seine „liebe Zilli“ schreibt er: „Obwohl ich meinen Fuß opfern musste, bin ich lieber ein Krüppel als ein Naziverbrecher.“
Heimkehr mit Krücken – und einem fremden Mann im Haus
Michael Braunreiters Heimweg führte ihn auf Krücken quer durch Deutschland zurück nach Oberösterreich. In Kirchdorf angekommen, bewältigte er die letzten dreieinhalb Kilometer zu Fuß – auf einem Bein. Als er in sein Haus kam, öffnete ihm ein Fremder. „Bist es du, Michl?“, habe dieser gefragt. Denn seine Frau war mit den Kindern inzwischen nach Klaus gezogen, auf den Bauernhof ihrer Eltern.
In Klaus wartete dann die nächste Überraschung: Zwei herrenlose Wehrmachtspferde standen im Stall. „Mein Vater hatte sich früher oft Pferde gewünscht, aber sie waren unerschwinglich. Jetzt standen plötzlich zwei im Hof“, erzählt der Sohn. Endlich war die Odyssee des Krieges, die Michael Braunreiters Leben durch die Amputation des linken Beines nachhaltig verändert hat, vorbei.
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