Günter Schmied, Leiter des AMS Kirchdorf, im Interview: "Die Jobs sind da – aber oft nicht dort, wo sie gebraucht werden"
KIRCHDORF. Vor einem Jahr übernahm Günter Schmied die Leitung des Arbeitsmarktservice (AMS) Kirchdorf. Seither spitzt sich der Fachkräftemangel weiter zu, die Anforderungen an Arbeitssuchende steigen – und auch Betriebe stehen unter wachsendem Druck. Im Tips-Gespräch zieht Schmied Bilanz, spricht über Herausforderungen und erklärt, warum persönliche Beratung so wichtig ist.
Tips:Herr Schmied, vor einem Jahr haben Sie Ihre Position als Geschäftsstellenleiter angetreten – wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Günter Schmied: Der Wechsel von meiner bisherigen Stellvertreter- und Abteilungsleiterrolle in die Leitung war trotz aller Erfahrung Neuland. Es war nicht nur eine neue organisatorische Position, sondern auch eine Veränderung im Standing nach innen wie nach außen. Besonders fordernd war die Umbauphase im zweiten Halbjahr und die Einarbeitung meiner Nachfolgerin. Heute kann ich sagen: Wir haben uns als Führungsteam gut eingespielt, die Netzwerke in der Region weiter ausgebaut – und ich fühle mich am richtigen Platz.
Wie hat sich der Arbeitsmarkt im Bezirk Kirchdorf 2025 bisher entwickelt?
Wir sehen heuer einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit – zeitweise über 20 Prozent mehr als im Vorjahr, stärker als im oö. Durchschnitt. Besonders betroffen sind jene, die es ohnehin schwerer haben, wieder Fuß zu fassen. Gleichzeitig gibt es auch viele erfolgreiche Arbeitsaufnahmen. Wichtig ist: Arbeitslose sind keine homogene Gruppe – manche finden sehr schnell wieder Arbeit, andere brauchen länger. Insgesamt beobachten wir aber eine Zunahme der Langzeitbeschäftigungslosigkeit. Dennoch möchte ich betonen: Veränderungen am Arbeitsmarkt bieten auch Chancen für Neuorientierung und Qualifizierung.
Der Fachkräftemangel betrifft mittlerweile fast alle Branchen – wie ist dieser im Bezirk Kirchdorf zu spüren?
Kirchdorf ist stark industriell geprägt, und genau hier fehlen Fachkräfte – ob in der Produktion, im Gewerbe oder in der Technik. Der demografische Wandel verstärkt das: Viele Fachkräfte der Babyboomer-Generation gehen in Pension, Nachwuchs ist nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Es kommt zunehmend zu einem Mismatch: Arbeitssuchende und offene Stellen passen nicht immer zusammen.
Welche Entwicklungen sehen Sie bei Lehrstellen und jungen Erwachsenen?
Die Lehrstellensituation im Bezirk Kirchdorf ist durchaus positiv – wir hatten zuletzt sogar mehr Lehrlinge als im Vorjahr. Betriebe suchen Lehrlinge, und die Möglichkeiten sind vielfältig. Natürlich gibt es junge Menschen, die Orientierung brauchen oder zunächst in überbetriebliche Ausbildung starten. Pauschale Vorurteile, dass die Jugend nicht arbeiten wolle, halte ich für falsch. Viele Gründe sind individueller Natur – schulische Schwierigkeiten, persönliche Entwicklung. Unsere Aufgabe ist es, sie bestmöglich zu unterstützen und zu begleiten.
Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen bei der Integration benachteiligter Gruppen in den Arbeitsmarkt, wie etwa Langzeitarbeitslose oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen?
Für diese Gruppen ist es aktuell schwieriger, weil Arbeitgeber mehr Auswahl haben und eher die besser Qualifizierten bevorzugen. Wir arbeiten daher intensiv mit Förderinstrumenten wie Eingliederungsbeihilfen oder Umschulungsprogrammen. Bei gesundheitlichen Einschränkungen setzen wir auf Kooperationen, um Stabilisierung und berufliche Neuorientierung zu ermöglichen. Trotzdem bleibt es eine große Herausforderung, gerade Langzeitarbeitslose wieder nachhaltig in Beschäftigung zu bringen.
Wie beurteilen Sie die Chancen für Quereinsteiger oder Menschen in Umschulungen – sind die Betriebe dafür offen genug?
Ja, die Betriebe sind zunehmend bereit, alternative Wege zu gehen – auch, weil sie oft keine passende Fachkraft mit klassischem Abschluss finden. Unser Kompetenzmatching unterstützt dabei, Fähigkeiten und Erfahrungen unabhängig von formalen Abschlüssen sichtbar zu machen. Das ermöglicht Quereinsteigern, über gezielte Nachqualifizierung in neue Berufsfelder hineinzuwachsen.
Wie sehen Sie die Lage in der Region in fünf Jahren – wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch?
Eine exakte Prognose ist schwierig, weil äußere Faktoren wie Kriege, Energiepreise oder Konjunkturzyklen den Arbeitsmarkt massiv beeinflussen. Grundsätzlich bin ich aber optimistisch: Kirchdorf bleibt ein starker Wirtschaftsstandort.
Was möchten Sie jenen mitgeben, die sich beruflich neu orientieren (müssen)?
Jede Veränderung bietet auch Chancen. Wichtig ist, offen zu bleiben, sich beraten zu lassen und Weiterbildungs- oder Qualifizierungsangebote aktiv zu nutzen. Es gibt heute viele Wege, einen neuen beruflichen Einstieg zu schaffen – ob durch Lehre, Umschulung oder Arbeitsplatzqualifizierung.
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