Auf den Spuren der vergessenen NS-Lager im Bezirk Melk
BEZIRK MELK. Ein neues Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem Schicksal der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in Niederösterreich. Untersucht werden sollen dabei vor allem bislang eher unbekannte NS-Lager und die Kontakte der Inhaftierten zu ihrer Umgebung. Allein im Bezirk Melk befanden sich während des Zweiten Weltkriegs mindestens 19 Zwangsarbeiterlager.
Ab 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter sowie deren Lager und Behausungen in vielen niederösterreichischen Gemeinden allgegenwärtig – auch im Bezirk Melk. Heute sind die meisten dieser ehemaligen NS-Lager aber aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Viele Lagerstandorte sind nicht oder kaum mehr erkennbar, da sie abgetragen, überbaut oder umgestaltet wurden.
Kontakte im Zentrum
Das Forschungsprojekt „NS-‚Volksgemeinschaft‘ und Lager im Zentralraum Niederösterreich“ beschäftigt sich nun mit der Geschichte der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter. Ziel ist es, bisher unbekannte und weitgehend unerforschte Lager in Niederösterreich zu untersuchen. Im Zentrum stehen dabei auch die vielfältigen Kontakte zwischen Inhaftierten und den im Umland lebenden Menschen.
Mindestens 60 Lager in NÖ
Laut Projektleiterin Martha Keil, Chefin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, befanden sich im Raum St. Pölten, Krems, Melk und Tulln mindestens 60 Lager und lagerähnliche Einrichtungen, in denen in der NS-Zeit Ausgegrenzte und Zwangsarbeiter aus ganz Europa untergebracht waren.
19 NS-Lager im Bezirk Melk
Fast ein Drittel der bereits bekannten Lagerstandorte befand sich im Bezirk Melk. Das Bundesdenkmalamt führt hier in seiner „Liste der NS-Opferorte in Österreich“ aktuell 19 Zwangsarbeiterlager an. Etliche dieser Standorte befanden sich rund um Ybbs und Persenbeug, denn die Inhaftierten mussten beim Bau des dortigen Donaukraftwerks mitwirken. Ebenfalls kamen die Zwangsarbeiter im Raum Melk bei Straßenbauarbeiten zum Einsatz. Von etlichen Lagern ist der genaue Standort in den jeweiligen Gemeinden noch unbekannt.
14.000 Häftlinge in Melk
Bislang am besten erforscht sind die Kriegsgräuel in Melk. Die dortige Birago-Kaserne diente einst als Zwangsarbeiterlager und Außenlager des KZ Mauthausen. Rund 14.000 Häftlinge waren dort untergebracht. Sie kamen beim Stollenbau und in der Kugellagerfertigung für eine große unterirdische Fabrik mit dem Tarnnamen „Quarz“ zum Einsatz. Das Krematorium ist heute ein Denkmal und zeigt eine Ausstellung zum Thema.
Vergangenheit aufarbeiten
Das neue Forschungsprojekt widmet sich nun den vergessenen Lagern. Koordiniert wird es vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs in St. Pölten. Zu den Projektpartnern zählen die Donau-Universität Krems, das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien und das Haus der Geschichte im Museum NÖ. „Es ist für das Land NÖ von enormer Wichtigkeit, auch die Schattenseiten unserer Vergangenheit aufarbeiten zu lassen“, betont Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Das Land unterstützt das Projekt mit rund 400.000 Euro.
Bürger können mitwirken
Auch die Bevölkerung ist zur Mitarbeit eingeladen. So sollen die Bürger durch verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten dazu angeregt werden, im Bekanntenkreis Zeitzeugen zu befragen oder auch in Gemeindearchiven zum Thema NS-Lager zu recherchieren. „Für die Angehörigen und Nachkommen der ehemaligen Internierten wird das Projekt eine Anlaufstelle für ihre Fragen sein“, erläutert Projektleiterin Martha Keil.
Aktuell bekannte Zwangsarbeiterlager im Bezirk Melk (Quelle: Bundesdenkmalamt)
Emmersdorf: Goßam 25 (in der Käfermühle) sowie ein weiteres, dessen genauer Standort noch unklar ist
Golling an der Erlauf: Auf dem Werksgelände der HITIAG
Hofamt Priel: Insgesamt drei Lager, zwei in der Nähe des Kraftwerks und eines mit noch unbekanntem Standort
Klein-Pöchlarn: In einem Steinbruch westlich von Ebersdorf
Krummnußbaum: Auf einer Hochfläche im Ortsteil Annastift
Melk: Außenlager des KZ Mauthausen in der Birago-Kaserne
Pöchlarn: genaue Lage noch unklar
Ruprechtshofen: Im Gutshof Zinsenhof
Schollach: Im östlichen Teil von Anzendorf beidseits der Straße sowie südlich von Merkendorf
Schönbühel-Aggsbach: Insgesamt drei Lager, davon jeweils eines in Schönbühel und Aggstein sowie ein weiteres mit noch unbekanntem Standort
Ybbs: Drei Lager in Donaudorf und ein weiteres im Arbeiterheim
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