Flutgefahr nach Gletschersturz – droht dem Wallis die nächste Katastrophe?
SCHWEIZ. Nach dem gewaltigen Gletscherabbruch im Schweizer Lötschental droht nun eine Flutwelle. Ein aufgestauter See könnte das Tal überrollen – die Angst wächst stündlich.
Es war 16:37 Uhr, als sich im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis die Erde öffnete: Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis donnern mit gewaltigem Getöse ins Tal und begraben das Dorf Blatten fast vollständig unter sich. Was folgte, war nicht nur ein Erdbeben im geologischen Sinn – sondern eine Katastrophe, die sich nun in dramatischer Weise zuspitzt: Denn das wahre Unheil könnte noch bevorstehen.
Ein mächtiger Damm aus Gestein, Schlamm und Eismassen blockiert seit dem Abbruch den Flusslauf der Lonza. Dahinter hat sich ein riesiger See gebildet – ein gefährlicher Rückhalt aus Wassermassen, der jederzeit durchbrechen könnte. Sollte es zum Dammbruch kommen, drohen im unteren Tal Flutwellen, die alles mitreißen, was sich ihnen in den Weg stellt. In zwei Weilern wurden bereits vorsorglich Häuser evakuiert. 16 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Doch das ist womöglich nur der Anfang.
„Das Schlimmste steht uns vielleicht noch bevor“
Zivilschutzsprecher Antoine Jacquod warnt: „Es besteht ein großes Risiko der Überflutung des flussabwärts liegenden Tals.“ Die Räumung der Abbruchstelle sei aktuell nicht möglich – zu gefährlich sei die Lage. Auch die Suche nach einem vermissten Mann wurde abgebrochen. Selbst erfahrene Bergretter müssen derzeit aus Sicherheitsgründen zurückbleiben.
Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern sieht die Situation kritisch: „Der aufgestaute See könnte sich plötzlich entladen. Der Damm besteht aus losem Material – wenn sich der Fluss durch das Eis-Gestein-Gemisch frisst, ist ein Bruch unausweichlich.“ In diesem Fall sei mit extremen Murgängen und Flutwellen zu rechnen, die sich ungebremst talabwärts wälzen würden. Die Schweizer Armee überwacht die Situation mit Drohnen und Hubschraubern im Stundentakt. Ein leerer Stausee wurde bereits vorbereitet, um im Ernstfall Wassermassen aufzufangen.
Ein Dorf ausgelöscht – ein Tal unter Schock
Blatten, das letzte Dorf im Lötschental auf 1.500 Metern Seehöhe, existiert faktisch nicht mehr. 90 Prozent des Ortes – darunter rund 130 Häuser und die Dorfkirche – sind von einer bis zu 200 Meter dicken Schutt- und Eisschicht bedeckt. Auf aktuellen Drohnenaufnahmen ist kaum mehr etwas vom einst malerischen Bergdorf zu erkennen.
„Ein Tal weint“, schrieb das lokale Medienhaus Pomona. Und tatsächlich wirkt das Lötschental wie betäubt. Bewohner stehen unter Schock, viele haben innerhalb einer Stunde ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Die wenigen übrig gebliebenen Häuser stehen bereits teilweise im Wasser – die Lonza sucht sich neue Wege, während der Druck hinter dem Damm weiter wächst.
„Ein Ereignis für die Geschichtsbücher“
„Es ist eine Jahrhundertkatastrophe“, sagt Beat Rieder, Abgeordneter aus dem Nachbarort Wiler. „Was hier passiert ist, hat es in unserer Geschichte noch nie gegeben.“ Das Schlimmste daran: Die Katastrophe könnte sich jederzeit verschärfen.
Die Behörden stehen im Dauereinsatz, die Schweizer Armee ist mobilisiert. Hilfswerke wie Caritas Schweiz und das Rote Kreuz haben bereits Soforthilfe in Millionenhöhe zugesagt. Die Solidarität im Land ist groß – doch sie kann den Schmerz über den Verlust nicht lindern.
Denn die Frage, die über allem hängt, bleibt bestehen: Wann bricht der Damm – und was wird er mit sich reißen?
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