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Lindner will mehr Unterstützung und Ausgangssperren für schwer delinquente Kinder

Tips Logo Anna Fessler, 25.07.2024 19:01

OÖ. 25 Kinder gibt es in Oberösterreich, die mehr brauchen, als das System derzeit hergibt. Mehr Unterstützung, aber auch mehr Grenzen. Landesrat Michael Lindner (SPÖ) will für diese besonders gefährdeten und gefährdenden Kinder ein Maßnahmenpaket umsetzen, für schwer delinquente Kinder und Jugendliche fordert er Mittel für eine intensivere Betreuung und eine rechtliche Handhabe für Ausgangssperren vom Bund. 

V.l.n.r.: Michaela Mayer, Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin, Landesrat Michael Lindner und Theresia Schlöglmann, Leiterin der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe (Foto: Land OÖ/Denise Stinglmayr)

In Oberösterreich werden 1.500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren fremdbetreut, leben also nicht bei ihren leiblichen Eltern sondern in Wohngruppen oder bei Pflegeeltern. 25 dieser Kinder (alle unter 14) zeigen ein besonders hohes Potential, sich selbst oder andere zu gefährden. Das kann bedeuten, dass die Kinder unter Magersucht leiden und bereits über eine Sonde ernährt werden müssen, das kann aber auch heißen, dass sie bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.

Öffentliche Aufmerksamkeit bekommen sie meist dann, wenn letzteres der Fall ist. Etwa der 10-jährige Bub aus Pasching, der Fenster eingeworfen haben soll, ein Übungsauto der Feuerwehr gestohlen und Sicherheitskräfte gekratzt und getreten haben soll. Die Frage ist: Warum tut er das, warum gibt es Kinder, die noch vor der Strafmündigkeit ständig die Polizei beschäftigen?

Biographien zeigen Traumata, Gewalterfahrungen, Mangel an stabilen Beziehungen und Wohnsituationen

Eine bereichsübergreifende Fachgruppe hat sich auf Initiative von Kinderschutz-Landesrat Michael Lindner von September 2023 bis Mai 2024 auf jene Kinder konzentriert, welche die Grenzen der Systeme Sozialpädagogik, Bildung und Gesundheit aufzeigen. Dazu wurden Daten von 50 Kindern aus OÖ ausgewertet. Die Biographien weisen Gemeinsamkeiten auf: tiefgreifende Bindungsstörungen und Traumatisierungen, in fast allen Fällen haben sich die Eltern getrennt oder ist ein Elternteil gestorben. Häufig gibt es keinen oder kaum Kontakt zum Vater, stabile Beziehungen und eine stabile Wohnsituation fehlen. Die Kinder haben meist Gewalt erfahren oder miterlebt. Bei den Eltern kommen psychische Erkrankungen, Drogenmissbrauch und Straffälligkeit doppelt so häufig vor als im Durschnitt der Familien, die von der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden.

Mehr Fälle, jüngeres Alter

Laut Theresia Schlöglmann, Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe OÖ, sind die Fälle mehr geworden. Dies ließe sich aus der Praxis ableiten, wenngleich die Fallzahlen früher nicht erhoben wurden und es somit keine Vergleichsdaten gibt. Die Fälle der besonders gefährdeten oder gefährdenden Kinder würden aber jedenfalls zunehmen und auch komplexer werden. Die Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin Michaela Mayer fügt hinzu, dass auch das Alter der Kinder mit psychischen Störungen abnehme.

Herabsetzen des Strafmündigkeitsalter: Lindner klar dagegen

Forderungen nach einer Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters halten sowohl Schlöglmann, als auch Mayer und Lindner für keine gute Idee: Mayer spricht von einer Symptombehandlung, man müsse stattdessen „sichtiger werden für psychische Erkrankungen der Eltern und beim Benennen von Hochrisikofaktoren“. Entscheidend sei der Zeitpunkt der Intervention, nach dem Motto „je früher desto besser“.

Landesrat Michael Lindner spricht sich ebenfalls klar dagegen aus: „Kein Kind wird böse oder schlecht geboren. Kinderbiographien kommen erst meist dann in die Schlagzeilen, wenn Probleme auftreten, aber ich halte nichts von populistischen Forderungen, das Strafmündigkeitsalter zu senken. Wir müssen die Ursachen erfassen und angehen. Das Gefängnis ist nicht der richtige Ort für Kinder und kann daher auch nicht die Lösung sein.“

Lösungsansätze: mehr Austausch zwischen Helfersystemen, neue Betreuungskonzepte

Vorschläge für Lösungen hat die zuvor erwähnte Arbeitsgruppe erarbeitet. Wichtig sei ein besserer Austausch zwischen den unterschiedlichen Helfersystemen: geplant sind daher regelmäßige Treffen, etwa sechsmal im Jahr, zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Bildung und Polizei.

Auch an neuen Betreuungskonzepten wird gearbeitet – denn die Kinder, um die es geht, haben oft wenig Vertrauen zu Erwachsenen und hätten meist das Gefühl, nichts mehr verlieren zu können. Es brauche Erwachsene, die suggerieren „Du bist wichtig, wir bleiben dran, egal was du gemacht hast“, sagt Schlöglmann. Lindner will vom Bund eine Finanzierung für kleine, intensiv betreute Wohngruppen mit Ausgangsbeschränkungen für besonders schwer delinquente Kinder. Für die Ausgangsbeschränkungen müsste auch der rechtliche Rahmen geändert werden.

Prävention als Schlüssel zum Erfolg

Eine weitere Erkenntnis der Arbeitsgruppe: der Schlüssel liegt in der Prävention. Mit dem Ausbau des mobilen Familiencoachings und der Ausrollung der Frühen Hilfen habe man hier bereits wichtige Schritte gesetzt, so Lindner. Schließlich hat die Kinder- und Jugendhilfe den Auftrag für ein Forschungsprojekt erteilt, das sich mit den Biographien von Kindern mit hochriskanter Entwicklung beschäftigen wird. Auch Mayer ist daran beteiligt. Die Ergebnisse werden dann für jene Fachkräfte aufbereitet, die schon früh mit Kindern und Familien in Kontakt sind.

FPOOE: Fokus auf rechtliche Handhabe ebenfalls nötig

Die FPOOE fordert, dass der Fokus nicht nur auf die Prävention, sondern auch auf die rechtliche Handhabe gelegt werden müsse. Mehr Prävention sei wichtig und richtig, „aber in unserem Rechtstaat muss es im Ernstfall auch die nötige Handhabe geben, um junge Schwerkriminelle strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, so Klubobmann Herwig Mahr, der damit erneut eine Reform der Strafmündigkeitsgrenzen fordert. Maßnahmen, welche die elterliche Fürsorge sicherstellen, unterstütze die FPOOE.

 

 

 

In Zahlen: In OÖ leben 277.000 Kinder und Jugendliche, davon werden 1.500 fremdbetreut, 25 davon zeigen besonders gefährdetes oder gefährdendes Potential
Auf Initiative von Landesrat Michael Lindner hat eine Arbeitsgruppe an möglichen Lösungen gearbeitet, involviert waren: die Kinder- und Jugendhilfe, Bezirksverwaltungsbehörden, Sozialpädagogische Einrichtungen, Fachkräfte etwa aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Bildungsdirektion, die Justiz sowie die Landespolizeidirektion
Die Ergebnisse: Früherkennung und Prävention sind der Schlüssel - das präventive Angebot soll ausgebaut werden, Hochrisikoparameter werden erforscht; die verschiedenen Helfersysteme werden sich regelmäßig treffen und austauschen; Betreuungskonzepte im Intensivbereich werden weiterentwickelt

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