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„Ohne eigenes Auto, bei uns heroben im Mühlviertel? Echt jetzt?“

Martina Gahleitner, 06.08.2024 18:26

AIGEN-SCHLÄGL. Pendeln nach Linz, Business-Termine als Texter, Werber und Unternehmensberater in ganz Österreich, kulturelles Leben, Urlaub: Seit viereinhalb Monaten meistern Peter Werner (PunkWriter.at) und seine Lebensgefährtin Kerstin Grom das Leben im Mühlviertel ohne eigenes Auto. Zuerst kritisch eingeschätzt, sind sie zur Überzeugung gekommen, dass es sogar ziemlich gut geht.

Peter Werner und seine Lebensgefährtin Kerstin Grom kommen seit vier Monaten ohne eigenes Auto im Mühlviertel aus. (Foto: privat)
Peter Werner und seine Lebensgefährtin Kerstin Grom kommen seit vier Monaten ohne eigenes Auto im Mühlviertel aus. (Foto: privat)

von Gastautor PETER WERNER

Zugegeben, die ersten Gespräche mit Freunden waren nicht gerade aufbauend. Die meisten konnten sich nicht vorstellen, dass das, was wir vorhatten, funktionieren kann. Und warum wir uns das antun wollten, konnten sie schon gar nicht nachvollziehen. Dabei lagen unsere Beweggründe auf der Hand. Für uns zumindest. Aber einmal der Reihe nach. Was hatten wir vor? Und warum?

Die Klimakatastrophe verhindern

Dass das Klima in den letzten 10.000 Jahren im Vergleich zur Erdgeschichte relativ stabil war, wissen wir. Dass sich die Oberflächentemperatur der Erde seit Beginn der Industrialisierung stark erhöht hat und sich weiter erhöhen wird, wissen wir auch. Klimaveränderungen gab es immer, dieses Argument der Klimakrisen-Skeptiker ist richtig. Diesmal allerdings läuft die Erwärmung 20 Mal schneller als in den Klimawandeln der letzten 65 Millionen Jahre.

Der Großteil dieser enormen Geschwindigkeit liegt am vom Menschen verursachten CO2-Ausstoß. Jeder von uns verursacht derzeit einen CO2-Ausstoß von rund 10 Tonnen pro Jahr. Davon rund ein Viertel für Mobilität. Berechnungen zufolge kann unsere Atmosphäre nur eine Tonne CO2 pro Jahr abbauen, das sind nicht ganz 3 Kilo pro Tag. Ein durchschnittlicher Verbrennermotor produziert rund 110 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer. Das bedeutet, bei knapp 30 Kilometern Autofahrt am Tag ist Schluss mit Klimaneutralität, und das ungeachtet des persönlichen Konsums, der Heizung, Ernährung und CO2-intensiver Urlaubsreisen.

Carsharing im Mühlviertel? Mühlferdl!

Mitten in unseren Überlegungen, unseren heiß geliebten SUV gegen ein E-Fahrzeug zu tauschen, kamen wir auf einen kühnen Gedanken: „Was, wenn wir generell aufs eigene Auto verzichten?“ Zugegeben, im ersten Moment haben wir über die eigene Idee gelacht. Dann begannen wir zu rechnen. Und natürlich, der Mühlferdl kommt deutlich günstiger als ein eigenes Auto. Zumal wir in unserer Planungsphase bemerkt haben, dass wir das eigene Auto im Schnitt nur vier Stunden in der Woche genutzt haben. Das bedeutet mehr als 97 Prozent Stehzeit, also Zeit, in der das Auto zwar nicht bewegt wird, aber an Wert verliert und Versicherung kostet. Und dann haben wir unsere Bedürfnisse geplant und umverteilt. Und siehe da – es hat geklappt, zumindest mal am Papier: Pendeln nach Linz und Business-Termine mit dem Klimaticket, Termine in der Region mit dem Mühlferdl, Einkaufen zu Fuß.

Die Praxis

Es sind schon zwei Paar Stiefel, Vorhaben in süßer Theorie am grünen Tisch zu planen und diese dann in der harten Praxis auch wirklich umzusetzen. Der Moment des Abschieds von unserem SUV (von uns liebevoll der Dicke genannt) zum Beispiel war alles andere als lustig. Einerseits, weil das Auto wirklich toll war, andererseits, weil uns klar wurde: Ab jetzt müssen wir smart planen, uns eventuell auch einschränken.

Und siehe da, es geht. Und das sogar ziemlich gut, wenn man ein paar Dinge beherzigt. Mittlerweile sind viereinhalb Monate vergangen und wir konnten einiges an Erfahrung sammeln:

• Meine Lebensgefährtin pendelt von Aigen-Schlägl mit den Öffis nach Linz, das klappt perfekt und schont im Gegensatz zum Staustehen die Nerven.

• Meine Termine als Texter, Werber und Unternehmensberater in ganz Österreich lassen sich ebenfalls herrlich öffentlich absolvieren. Ich kann im Bus/Zug sogar arbeiten und so oft es geht nehme ich die Mühlkreisbahn, die Aussicht auf unser wundervolles Mühlviertel ist jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis! Ich hatte sogar schon einen bewusst so gewählten Business-Termin mit einem Wiener Kunden während der Fahrt! Ich hoffe, dieses regionale Kleinod bleibt nicht bloß erhalten, sondern wird weiter ausgebaut!

• Unser reges zwischenmenschliches und kulturelles Leben mussten wir nicht einschränken. Unsere (noch) exotische Back-to-the Roots-Mobilität ist sogar ziemlich oft Gesprächsthema mit unseren Freunden.

• Und selbst unser erster Urlaub mit dem Mühlferdl im Ausseerland war ein voller Erfolg, vor allem, nachdem wir uns mit dem Stromtanken außer Haus vertraut gemacht hatten, was anfangs gar nicht so einfach war. Zum Glück standen uns die Spezialisten der Leaderregion Donau-Böhmerwald mit Rat und Tat zur Seite.

• Ach ja, ein einziger Punkt blieb offen: die Besuche in unserem heißgeliebten Aigen-Schlägler Freibad. Dafür kauften wir uns einen (äußerst sparsamen, staatlich geförderten) E-Roller, mit dem wir mittlerweile auch einige der anderen Mobilitäts-Themen lösen.

Conclusio zum Selbstversuch: Wir machen weiter! Natürlich trägt die Lage unseres Wohnortes (ca. fünf Minuten zu Fuß zu Bus und Mühlferdl) zum Erfolg bei. Der Mehraufwand an Planung ohne eigenes Auto wird jedenfalls durch unser gutes Gefühl, etwas zum Lebenswert und Wohlstand der kommenden Generationen beitragen zu können, mehr als wett gemacht.


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07.08.2024 16:38

Wandern mit Öffis

Auch in der Freizeit gelten ähnliche Argumente: Man kann andere Dinge machen, während man in die Berge reist. Während auf die Einen dann das Auto unbenutzt wartet und zur Rückkehr zwingt, können die Anderen zu einem ganz anderen Bahnhof auch gehen um von dort hinzufahren. Wie das von Linz aus geht, zeigt etwa www.bahn-zum-berg.at/linz/ ?

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Felix F.
Felix F.
07.08.2024 14:09

Gratuliere und weiter so.

oh. das freut mich sehr. Ein guter Anfang ist gemacht und es darf mehr sein. Durch das Organisieren und Planen lebt halt auch bewusster. Finde ich. Schöne Grüße aus Linz Urfahr ins schöne Aigen- Schlägl :)

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07.08.2024 09:17

Sehr gut

Dieses Ehepaar macht es richtig. Ich ärgerte mich nun seit 50 Jahren über die Herrschaften aus dem Mühlviertel, die täglich mit ihren Autos Linz verstinken und dann auch noch Pendlerpauschale bekommen. Das ist primitive Wähler fang der ÖVP ler, weil sie wissen dass sie bei Städter nix reißen