„Corona legt den Finger in die wunden Punkte unseres Gesundheitssystems“
OÖ. Alfred Mayr vertritt als Vorsitzender der GÖD Gesundheitsgewerkschaft OÖ und des Zentralbetriebsrats in der OÖ. Gesundheitsholding (OÖG) die Interessen von rund 14.000 Mitarbeitern im oberösterreichischen Krankenhausbereich und knapp 6.000 Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen des Landes. Im Tips-Talk zeigt er auf, wo das heimische Gesundheitssystem krankt und was dringend reformiert werden muss.
Tips: Die Pandemie hat den Gesundheitsbereich und vor allem auch die Pflege an den Rand des Machbaren gedrängt. Wo ist aus Ihrer Sicht aktuell der dringendste Handlungsbedarf?
Mayr: Am meisten setzt den Mitarbeitern in allen Bereichen die derzeitige Unplanbarkeit und Unberechenbarkeit ihrer Arbeit zu. Das ständige Einspringen für Kollegen, die krank oder in Quarantäne sind oder vielleicht die Betreuung ihrer Kinder stemmen müssen, zerrt an den Ressourcen. Nicht unbedingt motivierend erscheint mir außerdem, dass bei Förderungen der Wirtschaft – die ich natürlich verstehe – großzügigst vorgegangen wird, bei den Gesundheits- und Pflegebetrieben aber penibel kontrolliert wird, dass ja keine Berufsgruppe „zu viel“ Anerkennung erhalten soll. Fest steht, dass alle Berufsgruppen in den Kliniken und Pflegeheimen maßgeblich zur Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation ihren wichtigen Beitrag leisten. Die teils unnötige Kontrollarbeit muss von den Mitarbeitern in den ohnehin stark geforderten Verwaltungen zusätzlich gestemmt werden.
Tips: Das Pflegepersonal weist auf die Missstände aber nicht erst seit Corona hin. Warum wurde nicht eher gehandelt?
Mayr: Die Personalreserven sind seit jeher sehr knapp bemessen. Kurze Krankenstände oder einzelne Ausfälle können damit überbrückt werden, aber nicht so eine Extremsituation wie jetzt. Dazu muss man fairerweise sagen, dass man so eine Pandemie personalmäßig nicht planen kann. Corona legt aber den Finger jetzt genau in die wunden Punkte des Gesundheitssystems. Ich glaube jedoch nicht, dass es jemandem nützt, Schuldige zu suchen, sondern gemeinsam müssen jetzt Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen neue Rahmenbedingungen ausarbeiten und die Politik davon überzeugen, dass diese uns künftig im Gesundheitsbereich entlasten können.
Tips: Um welche Rahmenbedingungen geht es konkret?
Mayr: Wir müssen wieder eine Dienstplansicherheit zustande bringen, etwa durch ein ordentliches Ersatzpersonalmanagement. Oder die Ausbildung: Es ist nicht okay, dass angehende Pflegekräfte auch noch Studiengebühren zahlen müssen oder nur ein Taschengeld beziehen – zumindest die Praktika müssen ordentlich entlohnt werden. Das würde auch Wege öffnen für Menschen, die einen zweiten Bildungsweg einschlagen wollen, die sich das aber aus den genannten Gründen nicht leisten können.Ich glaube auch nicht, dass die Verkürzung der Wochenarbeitszeit sinnvoll ist, wie von manchen angedacht. Viel wichtiger wäre es in meinen Augen, den Mitarbeitern mehr Lebenszeit zu ermöglichen, etwa durch zusätzliche Urlaubswochen, damit sie wieder Energie tanken können. Und den Arbeitgebern muss klar werden: Die Mitarbeiter sind ihr höchstes Gut, das es zu hegen und pflegen gilt!
Tips: Nun sind Gesundheitsberufe durch die Pandemie und deren sichtbare Belastungen nicht unbedingt attraktiver geworden. Wie kann es dennoch gelingen, neue Kräfte zu rekrutieren und das Personal spürbar zu entlasten?
Mayr: Aus vielen Gesprächen mit Kollegen weiß ich, dass die Arbeit in Gesundheits- und Pflegebetrieben zwar fordernd ist, aber unter „normalen“ Umständen unheimlich sinnstiftend, erfüllend und von Erfolgserlebnissen geprägt ist. Der eine Zugang ist es, an den angesprochenen Schrauben der Rahmenbedingungen zu drehen und die Ausbildung zu attraktivieren. Eine weitere Möglichkeit wäre der Einsatz von inklusiven Modellen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, zusätzlich zum Personal in den Krankenhäusern oder Pflegeheimen auch Menschen mit Beeinträchtigungen einzusetzen, sei es im Reinigungsbereich, in der Küche oder in der Wäscherei. Diese Leistungen dürften aber nicht wieder den Personalressourcen angerechnet werden, sondern ganz klar als Zusatz und Entlastung spürbar sein. Und wir müssen die Digitalisierung noch besser in unsere Systeme einbinden. In den letzten Jahren sind so viele EDV-Aufgaben in allen Bereichen dazugekommen. Jeder Schritt muss dokumentiert werden. Ich bin überzeugt, die Digitalisierung könnte unsere Mitarbeiter entlasten, ohne Arbeitsplätze wegzunehmen. Hier geht es rein um die Erleichterung des Alltags.Fakt ist jedenfalls: Wir brauchen neues Personal, denn in den kommenden Jahren gehen viele Mitarbeiter in Pension – auch und gerade in den Alten- und Pflegeheimen brennt der Hut.
Tips: Wie stehen Sie zum Thema Impfpflicht? Wird sie die Personalsituation verschärfen?
Mayr: Eine Impfpflicht nur für Gesundheitsberufe hätten wir nicht unterstützt, da so der Eindruck entstanden wäre, dass nur das Gesundheitspersonal für die Entwicklung der Pandemie verantwortlich wäre. Die Impfung selbst befürworten wir auf jeden Fall, denn sie scheint der einzige Schlüssel hinaus aus dieser Pandemie zu sein.
Tips: Danke für das Interview!
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