SCHÄRDING. Der Flüchtlingsstrom ist nach wie vor ungebrochen. Seit September kommen täglich Tausende Menschen nach Österreich und haben nur ein Ziel: die Weiterreise nach Deutschland. Vor allem Grenzregionen wie Schärding stellt diese andauernde Flüchtlingswelle nach wie vor vor große Herausforderungen. Schärdings Bürgermeister Franz Angerer spricht im Tips-Interview über die Terroranschläge in Paris sowie über Auswirkungen in Schärding und Lösungen der Flüchtlingsfrage.
Tips: Herr Angerer, wie würden Sie die aktuelle Flüchtlingssituation beschreiben und einschätzen?
Franz Angerer: Es wäre unredlich einen direkten Zusammenhang zwischen der Flüchtlingssituation und dem Terroranschlag in Paris herzustellen. Flüchtlinge stehen keineswegs unter Generalverdacht. Aber es muss verhindert werden, dass Terroristen die Flüchtlingsrouten missbrauchen. Zur Beurteilung der Sicherheitslage müssen wir wissen, wer und warum jemand in unserem Land ist. Das wissen wir aber leider wegen der unkontrollierten Zuwanderung derzeit nicht. Daher braucht es intensivere Kontrollen. Viele Flüchtlinge tauchen auch unter. Das ist keine Panikmache; die Bürger fragen sich jedoch, ob dieser Staat seine Grenze überhaupt noch schützen kann. Sie fühlen sich von der hohen Politik im Stich gelassen. Wenn die Verantwortlichen eine Festung Europa bauen wollen, so zeugt dies nicht von einem guten Plan diese Flüchtlingsproblematik lösen zu können. Eine Lösungskompetenz mit gutem Krisenmanagement schaut anders aus.
Tips: Wie sollte es aussehen? Haben Sie konkrete Lösungsansätze für die Problematik?
Angerer: Zuerst darf ich vorausschicken, dass ich kein Bundespolitiker bin, sondern nur Bürgermeister von Schärding; daher habe ich bei nationaler und europäischer Politik keine Kompetenz, sondern erlaube mir nur meine bescheidene Meinung zu äußern. Notwendig ist auf jeden Fall die Grenzsicherheit an den EU-Außengrenzen. Einzelstaatliche Maßnahmen – wie Zäune in jedem Staat – sind abzulehnen; nur gemeinsames Vorgehen der EU. Der Flüchtlingsstrom muss verringert werden. Wir müssen klar unterscheiden zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen. Es gibt auch kein Recht für einen Flüchtling, sich sein Asylland auszusuchen, wie zum Beispiel Deutschland oder Österreich. Mehr Solidarität zwischen den einzelnen EU-Ländern. Vielleicht erzeugt der Schock der Terroranschläge in Paris ein Umdenken zu mehr Gemeinsamkeit und mehr Fairness.
Tips: Welche Auswirkungen hat die Flüchtlingswelle bisher auf die Stadt Schärding gehabt?
Angerer: Natürlich gibt es konkrete Auswirkungen. Es ist aber auch aufgrund unserer Resolution eine für Schärding sehr verträgliche Lösung erarbeitet worden. Die Flüchtlinge müssen – und jetzt kommt erst die witterungsmäßig kalte Jahreszeit – nicht mehr nach Neuhaus gehen, sondern werden mit Bussen transportiert. Aus diesem Grund merkt man derzeit relativ wenig von den bis zu 2000 Menschen, die hier täglich Station machen. Die Einsatzorganisationen leisten hier gemeinsam mit vielen engagierten ehrenamtlichen Helfern ausgezeichnete Arbeit.
Tips: Welche Erwartungen haben Sie an die Politik, damit die Flüchtlingsproblematik gelöst werden kann?
Angerer: Ich komme gerade wieder von den Flüchtlingszelten in Schärding und Neuhaus. Es braucht sich niemand zu wundern, wenn das letzte Vertrauen der Bürger in die Politik verloren geht. Die Arbeit der Regierung ist ein Trauerspiel. Die Menschen haben den Eindruck, dass unsere Regierung dem derzeit herrschenden Flüchtlingschaos hilflos gegenübersteht. Ich habe persönlich mit vielen Schärdingern gesprochen. Die in der Bevölkerung herrschenden Ängste und Befürchtungen können durch Streitereien über Zaun und Nicht-Zaun usw. nicht gemildert werden. Als es um das Geld der Griechen gegangen ist, sind die Präsidenten und Regierungschefs der EU oftmals zweimal in der Woche zusammengekommen. Bei der Flüchtlingsfrage geht es ja „nur“ um Menschen; die EU findet keine Lösung.
Tips: Woran fehlt es am meisten in der Flüchtlingsfrage?
Angerer: Die Bundespolitik und der Landespolizeidirektor zeigen sich dieser Sache nicht gewachsen und sind heillos überfordert. Da werden am grünen Tisch mit den warmen Sesseln in Linz, Wien und Brüssel wieder neue Ideen geboren, die in der Praxis zu nichts führen. Die oberen Entscheidungsträger kennen die Realität hier vor Ort nicht; sie wissen nicht, wie es wirklich ausschaut. Die Zusammenarbeit auf der unteren Ebene zwischen Schärding und Neuhaus funktioniert derzeit sehr gut, was mir die Helfer und Beamten bei beiden Zelten oft bestätigen.
Tips: Sie üben Kritik an der Bundespolitik und am Landespolizeidirektor: Aber ist es denn nicht so, dass der Landespolizeidirektor die Lösung mit dem Flüchtlingszelt beim ASZ organisiert hat, obwohl sich die Stadt Schärding, Gemeinderat, Tourismus und Wirtschaft vehement gegen diese Lösung ausgesprochen hat?
Angerer: Das Gegenteil ist der Fall. Es sind auch einige andere Plätze zur Diskussion gestanden. Wenn wir nicht gemeinsam diese Resolution verfasst hätten, wären wir nicht zu dieser Lösung gekommen. Wir haben auch durchgesetzt, dass die Flüchtlinge mit Bussen vom Zelt Schärding zum Zelt Neuhaus gebracht werden. Früher mussten sie diesen Weg zu Fuß absolvieren. Man bedenke, in Schärding hat es im Dezember und Jänner oft minus 10 Grad Celsius und Regen; da sollen schwangere Frauen und Kleinkinder zu Fuß marschieren? Jetzt soll die Einsatzeinheit der Polizei von Schärding abgezogen werden. Das ist eine Spezialgruppe der Polizei. Mehr als 6000 Flüchtlinge kommen derzeit täglich über die Grenze nach Österreich. Der Landespolizeidirektor sagt, dass die Terrornacht von Paris auf die Kontrolle der durchreisenden Flüchtlinge keinen Einfluss hat. Es wird weiterhin nur fallweise kontrolliert. Das ist unverantwortlich. Sogar die Innenministerin gibt zu, dass Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Europa gelangen. Die Situation ist außer Kontrolle.
Tips: 2016 feiert die Stadt Schärding ihr 700-Jahr-Jubiläum: Befürchten Sie negative Auswirkungen für die Feierlichkeiten aufgrund der Flüchtlinge in Schärding?
Angerer: Wir, die Stadtverantwortlichen, haben in Schärding für die Flüchtlinge eine praxis-taugliche Übergangslösung gefunden. Die Menschen brauchen bei uns auch nicht mehr zu frieren. Wir haben beim Zelt durch Feuerwehr und Bauhof mitorganisiert, bei Wasser Strom, Müll und Reinigung. Wir fragen uns auch, wer die Haftung übernimmt, wenn es zu Unfällen kommt, beispielsweise durch Schneedruck. Das Zelt ist meistens überfüllt und baurechtlich nicht genehmigt. Die weitere Entwicklung ist nicht absehbar. Die Dieseltanks werden jeden zweiten Tag betankt, obwohl wir noch nicht einmal Minusgrade haben. Wir geben unser Bestes und bemühen uns, dass die Schärdinger Bevölkerung nicht zu stark beeinträchtigt wird. Bezüglich der Auswirkungen muss man abwarten, wie sich die Lage in Schärding entwickelt. Da kann man vermutlich im März 2016 detaillierter darauf antworten; aus jetziger Sicht dürfte es aber keine Auswirkungen geben.
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