Abgeschoben und weggesperrt: Wie Moldawien in Sachen Psychiatrie von Österreich lernt
ST. LEONHARD. Weggesperrt, auf reine Aufbewahrung und Versorgung reduziert leben psychisch Kranke in Moldawien, dem ärmsten Staat Europas. Acht Jahre haben die Bemühungen von Tom Zuljevic-Salamon und seinem Team von „Die Querdenker“ gebraucht – dieser Tage war es so weit: Eine Wohngemeinschaft für psychisch Kranke hat ihren Betrieb offiziell aufgenommen und zeigt nun den zeitgemäßen und menschenwürdigen Umgang mit den Betroffenen vor.
„Ich hab so viel Freude, dass uns diese Wohngemeinschaft gelungen ist – für das System in Moldawien ist das ein riesiger Schritt und ein positiver Dammbruch“, sagt Tom Zuljevic-Salamon im Tips-Gespräch. Er ist mit seinem Unternehmen „Die Querdenker“ nicht nur in Österreich, sondern auch in Rumänien und eben in Moldawien in der Sozial- und Gesundheitsarbeit aktiv.
Menschenunwürdige Zustände
Das Engagement in Moldawien hat sich zufällig durch Kontakte zu einer Psychiatrie-Primaria ergeben. „Der Besuch in einem psychiatrischen Asyl in diesem ärmsten Land Europas ist schwer auszuhalten, manchen Kollegen hat es regelrecht den Boden unter den Füßen weggerissen. Die Versorgung der Betroffenen reicht über Aufbewahrung hinter hohen Mauern und Grundversorgung nicht hinaus. Mit der Diagnose, meist Psychosen oder Schizophrenie, zögert man nicht lange, und wer einmal in der Psychiatrie ist, kommt so schnell nicht mehr hinaus. Nicht umsonst gibt es bei fast allen Psychiatrie-Asylen einen eigenen Friedhof“, schildert der St. Leonharder, der mit den 34 Mitarbeitern der „Querdenker“ zwei sozialpsychiatrische Wohngemeinschaften im Mühlviertel betreibt und in Österreich in der Beratung bei beruflicher Reintegration tätig ist.
Acht Jahre Anlaufzeit
Acht Jahre Arbeit hat es bedeutet, bis Zuljevic-Salamon und die acht Mitarbeiter seiner moldawischen Tochterfirma nun die erste ausgelagerte und unabhängige, von einer NGO betriebene Wohngemeinschaft für Menschen mit psychiatrischer Problematik eröffnen konnten. Sechs Bewohner finden dort medizinische und existenzielle Versorgung.
Dem Tag Struktur geben
Darüber hinaus geben Haustiere, ein Garten sowie eine Wäscherei und ein Bügelservice dem Tag eine Struktur und sorgen für Beschäftigung. Gelungen ist das Vorhaben, das ein Modell dafür sein soll, wie zeitgemäße Psychiatrie funktionieren kann, in Abstimmung und mit Hilfe des österreichischen Außen- und Sozialministeriums sowie des Staates Moldawien und mit Sponsoren-Unterstützung. Das Haus, in dem die Wohngemeinschaft in der Ortschaft Brînzeni untergebracht ist, hat der St. Leonharder im Rahmen seines Sponsoringbeitrags zum Projekt selbst angekauft und zur Verfügung gestellt, weil kein Miethaus zu bekommen war.
So nah und doch so unbekannt
„Es ist ein Versuch, einen Ansatz von österreichischen Standards in der Sozial- und Gesundheitsarbeit nach Moldawien zu exportieren“, sagt Zuljevic-Salamon. „Moldawien ist nur fünf Viertelstunden Flugzeit von Österreich entfernt – absolut nicht aus der Welt. Es liegt an uns zu schauen, dass sich auch dort etwas entwickeln kann.“
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