Depression: Wenn die Welt ohne Vorwarnung zusammenbricht
STEYR. Depressionen begleiten Brigitte D. ihr ganzes Leben. Ausgelöst durch sexuellen Missbrauch vor Jahrzehnten. Schon als Kind wollte die Steyrerin sterben, sie schrieb mit acht Jahren ihren ersten Abschiedsbrief. Heute will die 56-Jährige für die Krankheit sensibilisieren und schildert den Tips-Lesern aus ihrem Seelenleben.
„Ich habe als Kind zu Gott gebetet, dass er mich holt, dass ich sterben darf. Und er hat es nicht gemacht“, erzählt Brigitte D. im Tips-Gespräch. Die Demütigungen innerhalb der Familie hat sie versucht zu überspielen. „Ich war fröhlicher als alle anderen, habe mich in meine eigene Welt geflüchtet. Dabei habe ich mich vor allem gefürchtet und immer schuldig gefühlt.“
Panikattacken
Wie bei anderen Krankheiten gibt es mehrere Stufen der Depression und unterschiedliche Abläufe. Von ersten Panikattacken in der Menschenmenge bis zu Wahnvorstellungen. Häufig sind körperliche Beschwerden erste Signale von Depression. Schmerzen, die nicht erklärbar sind, weil organisch alles in Ordnung ist. Erste Hilflosigkeit wird spürbar. Haben sich Schlaflosigkeit und Antriebsschwäche noch verleugnen und die ständige Müdigkeit ignorieren lassen, ist durch die Schmerzen – gegen die es logischerweise kein hilfreiches Mittel gibt – die tägliche Bewältigung so anstrengend geworden, dass erste Erschöpfungsanzeichen auftreten. „Bei Schlafstörungen läuten bei den Ärzten die Alarmglocken. Die ganzen Tabletten, die ich bekam, lösten aber meine Probleme nicht. Sie haben nur meinen Geist eingeschläfert“, schildert Brigitte D., die seit Jahren durch Bachblüten Linderung findet. #
Die Nacht wird zur Qual
Am Anfang der Depression stehen Schlafprobleme, die jeder in gewissem Maß hat und nicht als Krankheit zählen. „Wenn man Angst im Dunkeln hat oder fürchtet von einer Hand berührt zu werden, oder ständig spürt, jemanden im Rücken zu haben, wem soll man sich anvertrauen ohne ausgelacht zu werden? Wie kann man erklären, dass grundlos auf einmal die ganze Welt zusammenbricht - ohne jede Vorwarnung?“ Die Gedanken seien mit Verdrängung beschäftigt und erste Konzentrationsprobleme treten auf. Angst vor dem nächsten Ausbruch der Gefühle, manchmal schon vorher spürbar, aber unaufhaltsam. Der eigene Körper werde zum Gefängnis. Ein Teufelskreis der Wut und Verzweiflung. Die Aggression richtet sich meist gegen sich selbst. „Selbstverletzungen sind ein Ventil für die Schmerzen der Seele“, so D.
Suche nach Kontrolle
Ein Versuch, sich selbst wieder unter Kontrolle zu bringen, ist zum Beispiel die bewusste Nahrungsverweigerung. „Ich esse nur dann, wenn ich es bestimme, nicht wenn der Körper will. Ich gehe über meine Grenzen und bestimme selbst. Was für ein Trugschluss. Aber die „Maschine Körper“ macht mit, auch wenn Empfindungen langsam absterben“, schildert Brigitte D. „Für all diese Gefühle gibt es keine Erklärung, keinen Ausweg. Obwohl im Inneren ein Orkan tobt, das Herz im Brustkorb keinen Platz mehr findet und zu zerspringen droht, fühlt man sich ohnmächtig. Was tun, wenn die Tränen nicht reinwaschen und ausgeweint sind? Wohin mit dem innerlichen Müll, der auch durch Erbrechen nicht weniger wird? Wohin mit sich selbst? Und warum? Wer diese Grausamkeiten mit Suizid beendet, ist meist vorher schon innerlich tot.“
Hilfe annehmen können
Hilfe von außen muss man annehmen können. Wenn introvertierte Menschen sich noch mehr zurückziehen, ist auch professionelle Unterstützung schwierig. Aufgeschlossenen fällt die aktive Mitarbeit an Lösungen leichter. Tiere, als treue Begleiter, schaffen es immer wieder, mit bedingungsloser Akzeptanz und Lebensfreude, depressive Menschen aus ihrer Lethargie herauszulocken. Egal ob Meerschweinchen, Kaninchen, Katze oder Hund. Dabei geht es um Berührung, Wärme, Leben zu spüren, Kommunikation über die Sinne. Nicht darum, die Pflege und Verantwortung für das Tier zu übernehmen. Denn wer seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr spürt und sich selbst vernachlässigt, ist auch nicht imstande für jemand anderen zu sorgen.
Selbsthilfe: Der Steyrer Verein pro homine (“Für den Menschen“) berät und begleitet rat- und hilfesuchende Personen. Speziell für depressive Menschen und deren Angehörige besteht das Angebot zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, an gemeinsamen Freizeitaktivitäten, Vorträgen und Seminaren. Jedes Treffen wird von einem fachlich qualifizierten Gesprächsmoderator begleitet. Info-Telefon 0664/2311570; E-Mail: prohomine@gmx.at; www.pro-homine.at
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