Sowohl Vertreter der Arbeiterkammer als auch Vertreter der Wirtschaftskammer sind für eine Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft der gesetzlichen Vertretung.
AMSTETTEN. Im Zuge der Verhandlungen der FPÖ und der ÖVP über eine zukünftige Regierung wird intensiv über eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern nachgedacht. Robert Schuster, der Arbeiterkammer-Amstetten Bezirksstellenleiter, und Reinhard Mösl, Bezirksstellenobmann der Wirtschaftskammer in Amstetten, argumentieren gegen dieses Ansinnen und zeigen Übereinstimmung in vielen Punkten.
Mösl: „Die Pflichtmitgliedschaft stellt den Zusammenschluss aller Mitgliedsbetriebe sicher, ganz unabhängig von deren Größe und Branche. Nur so können wir als Interessenvertretung gemeinsame Ziele verfolgen. Wer hingegen die gesetzliche Mitgliedschaft abschaffen will, spielt damit absichtlich oder unabsichtlich finanzstarken Lobbys in die Hände.
Schuster: „Ohne Pflichtmitgliedschaft gibt es keine Kammern – ohne Kammern gibt es keine Sozialpartnerschaft, die Basis des sozialen Friedens in Österreich ist. Die solidarische Mitgliedschaft aller Arbeitnehmer sichert die Finanzierung der Leistungen der AK, besonders den Rechtsschutz für jene, die Probleme in der Arbeitswelt haben.“
Vorteile für die Mitglieder
Dass die Pflichtmitgliedschaft Vorteile für die Mitglieder bringt, betonen Schuster und Mösl gleichermaßen.
Schuster: „Die Arbeiterkammer kämpft gegenüber der Politik um die Interessen der Arbeitnehmer, etwa wenn es um arbeitnehmerfeindliche Gesetze geht. Mit 3,6 Millionen Mitgliedern ist die AK eine Stimme, die nicht überhört werden kann. Zum anderen bietet die AK eine umfangreiche Servicepalette vom Rechtsschutz, der Unterstützung bei Firmeninsolvenzen, über Hilfe bei der Arbeitnehmerveranlagung, Konsumentenschutz bis hin zur Bildungsberatung – das ganze um knapp sieben Euro netto im Monat, das ist weniger als ein Anwalt oder eine Rechtsschutzversicherung kosten.
Mösl: „Eine Solidargemeinschaft, wie es die Wirtschaftskammer ist, garantiert nicht nur eine starke Stimme für alle Betriebe bei der Interessenvertretung. Sie stellt auch sicher, dass die umfangreichen Serviceleistungen und Bildungsangebote für alle Unternehmen leistbar und für alle gleichermaßen zugänglich bleiben.“
Sozialpartnerschaft
Auch die Sozialpartnerschaft halten sowohl Schuster als auch Mösl als tragende Säule des sozialen Friedens in Österreich.Schuster: „Die österreichische Sozialpartnerschaft ist ein international anerkanntes Erfolgsmodell. Mehr als zeitgemäß also. Studien weisen Länder mit Sozialpartnerschaft als erfolgreicher aus – Österreich und Luxemburg gehören zu den reichsten Ländern der Welt. Denken Sie nur an die Erfolge der Sozialpartnerschaft bei der Krisenbewältigung ab dem Jahr 2009. Oder an gemeinsame Erfolge, wie die überbetriebliche Lehre für Jugendliche ohne Lehrplatz, das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz mit seinen behördlichen Lohnkontrollen und aus allerjüngster Zeit etwa die Wiedereinstiegsteilzeit nach langem Krankenstand.“
Mösl: „Zur Klarstellung: Die Sozialpartnerschaft ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Wir hatten in den vergangenen 70 Jahren keine großen Streiks, weil eben die Sozialpartner immer am Tisch verhandelt haben. Dass dieser Interessenausgleich nicht einfach ist, wissen wir. Aber überall auf der Welt werden wir um das Konfliktlösungsmodell Sozialpartnerschaft beneidet, steht es doch für Frieden und Wohlstand.“
Nachteile durch Abschaffung
Eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft sehen beide als Gefahr.
Mösl: „Wer die Pflichtmitgliedschaft abschaffen will, schafft die Kammer ab. An deren Stelle würde eine Unzahl von kleinen durchsetzungsschwachen Interessengruppen treten. Das Sagen in der Wirtschaft hätten die zahlungskräftigsten Gruppen. Der einzelne Betrieb müsste viele kostengünstige Leistungen teuer am Markt einkaufen. In Niederösterreich bieten wir als Wirtschaftskammer über 200 beitragsfinanzierte Leistungen an, vom Rechtsschutz beim Arbeits- und Sozialgericht über die Betriebsanlagenberatung, dem Technologie- und Innovationsservice bis hin zum WIFI. Das alles würde es ohne Pflichtmitgliedschaft genauso wie das Lehrlingswesen oder uns als Bezirksstelle nicht mehr geben.
Sozialer Friede gefährdet
Schuster: „Der soziale Frieden in Österreich wäre gefährdet. Ohne Pflichtmitgliedschaft gibt es keine Kammern und ohne Sozialpartnerschaft stehen die Kollektivverträge und die soziale Sicherheit, wie wir sie kennen und schätzen, auf dem Spiel. Interessengegensätze würden nicht mehr durch Diskussionen am grünen Tisch gelöst werden, sondern durch offene Konflikte unter dem Motto „der Stärkere gewinnt“. Streiks auf der Straße wären an der Tagesordnung. Ohne Pflichtmitgliedschaft bzw. auch bei einer Absenkung der derzeitigen AK-Umlage müsste die AK klarerweise auch die derzeitigen umfangreichen Serviceleistungen für die Mitglieder einschränken.Vielleicht noch ein konkretes Beispiel: Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist in Österreich im Kollektivvertrag geregelt, nahezu alle Dienstverhältnisse haben einen Kollektivvertrag und damit Anspruch darauf. In Deutschland beziehen hingegen nur mehr 55 Prozent der Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld, weil nur mehr jedes zweite Dienstverhältnis von einem Kollektivvertrag abgedeckt ist.“
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