LINZ. Zu seinem 25. Jubiläum widmete sich der „Verband der Regionalmedien Österreichs“ am vergangenen Dienstagabend gemeinsam mit Tips dem brisanten Thema der Landflucht. Hochkarätige Referenten und Vertreter aus Politik und Wirtschaft regten zu einer interessanten Diskussion in den Linzer Redoutensälen an.
„Ein Drittel aller Gemeinden verlieren Einwohner, die Menschen ziehen zunehmend ihrer Arbeit nach. Wir stellen uns als Regionalmedium unserer Verantwortung und greifen dieses brisante Thema auf“, fasst Josef Gruber, Tips-Geschäftsführer und Präsident des Verbandes der Regionalmedien Österreichs (VRM), das Thema zum Start eines abwechslungsreichen Abends zusammen.
Im Rahmen dreier Keynotes wurde auf die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen eingegangen, die diese Entwicklung mit sich bringt. Gerlind Weber, die bis zu ihrer Pensionierung 2012 das Institut für Raumplanung und Ländliche Neuordnung an der BOKU Wien leitete, stellte jedoch gleich zu Beginn klar: „Der Ländliche Raum ist kein Jammertal, es gibt viele starke Regionen und Gemeinden.“ Niemand würde leichtfertig seine Heimatgemeinde verlassen, betonte die Expertin, jedoch gäbe es neben dem oft schwachen regionalen Arbeitsmarkt auch viele strukturelle Mängel und emotionale Motive, die letztlich zur Abwanderung führen: „Die empfundene Enge des Dorflebens kann dafür ebenso verantwortlich sein wie die völlig unterschiedlichen Motive einer sehr heterogenen Gruppe. Mütter haben etwa andere Bedürfnisse als Frauen, die keine Kinder haben.“
„Mit schöner Aussicht alleine kann man die Menschen nicht mehr im Ort halten.“ (Gerlind Weber)
Für Robert M. Bauer vom Institut für Organsisation und Globale Managementstudien der JKU Linz ist eine Entwicklung deutlich sichtbar: „Das Wachstum wandert immer mehr in die größeren Städte.“ Ein Trend, der auch global zu beobachten sei. „Wirtschaftlich starke Kontinente sind jene, die auch auch stark urbanisiert sind. Der größte Anreiz für alle Menschen, in solche Städte zu gehen, ist der, dort auch mehr zu verdienen. Strukturschwache Städte befinden sich ebenso schon in einem Kampf mit den strukturstarken Städten.“ Für Bauer zählt daher vor allem die strategische Dorf-Positionierung, um Abwanderung aus den ländlichen Regionen entgegenzutreten.
„Die Städte werden zunehmend zum Wirtschaftsmotor der Gesellschaft“ (Robert M. Bauer)
Peter Görgl vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien räumt in seiner Keynote mit einem oft gehörten Argument auf: „Sätze wie ´Du bist schuld, dass unser Dorf stirbt` sind falsch. Die Dynamik ist sehr vielschichtig und lässt sich mittlerweile politisch oder mit Geld nur noch bedingt steuern. Zwar werde laut Görgl der ländliche Raum niemals sterben – „Dörfer sind sehr robust in ihrer Struktur“ – jedoch gelte es, den Fokus auf Dinge zu legen, die man in der Stadt nicht vorfinden würde. „Eine solche Spezialisierung führt auch vom Denken weg, man muss jedes Dorf zu einer blühenden Landschaft machen. Das geht in Zeiten wie diesen sowieso nicht mehr, auch die Zeit der finanziellen Gießkannenpolitik ist vorbei.“
„Geld in die Infrastruktur zu pumpen, hält die Leute nicht im Ort“ (Peter Görgl)
Im Rahmen der anschließenden Diskussion äußerten sich auch Experten aus Politik und Wirtschaft zur Bedeutung und Zukunft des ländlichen Raums. Ein Auszug aus den Statements:
Günther Steinkellner, Infrastruktur-Landesrat (FPÖ): „Eines der Schlüsselwörter wird die autolose Zeit werden, viele Menschen schätzen an der Stadt, dass sie kein Auto brauchen, die Mobilität ist etwa im Mühlviertel großes Thema. Wir müssen Alternativen zum Zweitauto anbieten, dabei werden Öffentliche Verkehrsmittel wie die S-Bahn zum „Motor“ für den Wohnsitz am Land.“
Gottfried Kneifel (IWS-Geschäftsführer, Bundesrat a.D.): „Viele Einrichtungen und Jobs wurden bereits aus dem ländlichen Raum abgezogen, den Menschen durch das notwendige Pendeln viel ihrer Freizeit genommen, das stimmt mich nachdenklich. Der von Minister Rupprechter initiierte Masterplan ländlicher Raum könnte auch Chancen bieten, gewisse Einrichtungen bewusst am Land anzusiedeln und nicht mehr in der Stadt.“
Franz Reisecker (Präsident Landwirtschaftskammer OÖ): „Die Landwirte sind von dieser Entwicklung ja doppelt betroffen, ihr Arbeitsplatz ist bekanntlich verbunden mit Grund und Boden. Deshalb müssen wir gerade jungen Menschen Perspektiven bieten, als Landwirte auch am Land aktiv zu bleiben.“
Franz Molterer (Direktor-Stv. Arbeiterkammer OÖ): „Es klingt einfach zu sagen, bringen wir die Jobs wieder raus in die Regionen. Die Arbeitnehmer sind ja dazu gezwungen, der Arbeit nachzufahren. Die Hälfte der Bezirke Oberösterreichs hat eine Auspendlerquote von 50 Prozent oder mehr. Es gibt auch große Einkommensunterschiede zwischen den Regionen. Vielmehr gilt es zu erheben, welche Potentiale in den einzelnen Bezirken es gibt.
Peter Oberlehner (Vizepräsident des OÖ Gemeindesbundes, Bundesrat und Bürgermeister der Gemeinde Pötting) „Unsere Dörfer liegen nicht darnieder, ich sehe das selbst bei mir daheim in der Gemeinde Pötting, wo ich seit 20 Jahren Bürgermeister bin. Aber man muss ehrlich sagen, es gibt eben zwei Welten, die urbane Welt und die ländliche Welt. Viele entscheiden sich aber gerade heute wieder für die ländliche Welt, wo der Mensch keine Nummer ist.“
Peter Binder (Landtagsabgeordneter SPÖ): „Grundsätzlich habe ich heute vernommen, besteht kein Grund zur Panik. Aber Bildung, Forschung und die gezielte Entwicklung werden entscheidend sein, um die jungen und guten Leute auch am Land zu halten bzw. Betriebe dorthin zu bekommen. Diese Strategie kann nur gemeinsam gefunden werden, es gibt bereits viele gute Initiativen, Einrichtungen dezentral anzulegen oder Investitionen in Breitband für die Regionen.“
Robert Stadler (Bezirksstellenobmann der WKO Urfahr-Umgebung, Obmann des GUUTE-Vereines): „Wichtig wird sein, die Nahversorgung und die Jobs in den Regionen zu halten. Da gibt es genug positive Beispiele wie regionale Coworking-Spaces, die Möglichkeiten dazu eröffnen. Man muss es halt auch wirklich wollen, politisch und gesellschaftlich.“
Tips wird über diese vielschichtige Thema weiter berichten.
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