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Tierwohl: Zwischen Ansprüchen und tatsächlichem Griff ins Regal

Karin Seyringer, 23.05.2023 16:48

OÖ/TIROL. Das Thema Tierwohl steht seit einigen Jahren verstärkt im Fokus der Gesellschaft. Natürlich auch im Interesse der Landwirtschaft bedeuten die Anforderungen allerdings erheblichen Mehraufwand, der auch erwirtschaftet werden muss. Eine Delegation der Landwirtschaftskammer OÖ machte sich in Oberösterreich, Tirol und im angrenzenden Salzburger Flachgau ein Bild der modernen Tierhaltung und entlang der Wertschöpfungskette.

  1 / 18   Die Kuh auf der Weide wie hier in Oberndorf bei Kitzbühel: ein Bild, das sich die Gesellschaft erwartet, das aber auch entlohnt werden muss. (Foto: Tips/ks)

„Die Auflagen dürfen nicht zu übertrieben werden, sonst geht die Produktion ins Ausland, weil wir preislich nicht mehr mithalten können“, ist für Franz Waldenberger, Präsident der OÖ Landwirtschaftskammer (LK), klar. „Das Thema Tierwohl ist ein Spannungsfeld zwischen den hohen gesellschaftlichen Ansprüchen, den Anforderungen des Marktes und der Realität im Regal. Die Grundfrage ist: Was ist wirtschaftlich machbar?“, weiß auch Kammerdirektor Karl Dietachmair.

Eine Delegation der Landwirtschaftskammer OÖ machte sich in OÖ, Tirol und im Salzburger Flachgau ein Bild der modernen Tierhaltung und in Betrieben entlang der Wertschöpfungskette.

Heumilch-Pionier

15 Prozent der heimisch erzeugten Milch werden als Heumilch produziert – im Vergleich: EU-weit sind es nur drei Prozent. Ein Vorzeige-Bio-Heumilchbetrieb ist jener von Karl und Theresia Neuhofer in Betriebskooperation zwischen zwei Generationen geführt – gemeinsam mit Tochter Isabella und Schwiegersohn Lukas Übertsberger in Straßwalchen. Die 95 Milchkühe können ganzjährig ins Freie, werden im Sommer auf der Weide gehalten, im Winter mit Belüftungsheu versorgt. Seit diesem Jahr arbeitet die Familie mit zwei Melkrobotern. Karl Neuhofer ist auch Obmann der ARGE Heumilch Österreich. „Unsere Leidenschaft sind die Tiere“, so Isabella. „Wir sind sehr aufs Tierwohl fokussiert, haben letztes Jahr noch mal großzügig umgebaut, für viel natürliches Licht gesorgt. Umso hygienischer wir arbeiten, umso besser geht es den Kühen.“ Heumilch eignet sich besonders gut für die Käseproduktion, für den Mehraufwand gibt's von den Molkereien einen Zuschlag für die gelieferte Milch.

Am Ensmannhof in Oberndorf bei Kitzbühel leben 30 Mutterkühe und ihre Nachzucht. Claudia und Hansjörg Landmann betreiben den Hof. Die Tiere werden in einem Laufstall und von Mai bis Ende September auf der Alm gehalten. Produziert werden „Jahrlinge“, das Jungvieh bleibt bis zur Schlachtung mit elf Monaten bei der Mutter. Das Fleisch wird direkt vermarktet.

Spielzeug für Ferkel

Petra und Christian Bauer bewirtschaften in Peuerbach einen geschlossenen Schweinebetrieb, seit 2021 im AMA TW 100-Programm mit 320 Schweinen. Tierwohl 100 bedeutet unter anderem für jedes Tier doppelt so viel Platz als gesetzlich vorgeschrieben, Auslauf ins Freie und dass die Ringelschwänze nicht gekürzt (kupiert) werden. Gefüttert wird gentechnikfrei, „bis auf Donausoja wird die Futtergrundlage im Grunde von uns selbst produziert“, erläutert Christian Bauer.

„Eigentlich waren wir früher recht zufrieden. Mit Beginn von Corona sind die Schweinepreise aber wieder gefallen, die ganze Zeit war das Thema Tierschutz riesig – der Vorwurf, dass die Bauern so furchtbar zu den Schweindln sind“, so Bauer. Daher kam die Motivation, umzustellen.

Den größten Mehraufwand bedeute das Aus der Kupierung, „die Arbeit in der Ferkelaufzucht hat sich dadurch verdoppelt. Ferkel sind wie kleine Kinder, sie gehören beschäftigt.“ Am Hof der Bauers passiert dies unter anderem mit Spielzeug für die Ferkel.

Betriebe würden wollen, aber zu wenige Abnehmer

Aktuell sieben TW-100-Schweinebetriebe gibt es in OÖ. Der Mehraufwand wird den Bauern mit einem Tierwohlzuschlag zwischen 55 und 60 Cent pro Kilogramm abgegolten. Die Bauers liefern zu REWE/„Fair zum Tier“.

Derzeit liege der Marktanteil bei TW 100 beim Schwein bei etwa zwei Prozent, so Johann Schlederer, Geschäftsführer der VLV-Schweinebörse. „Die Bereitschaft vieler Bauern wäre durchaus da, ebenfalls auf Tierwohlprogramme umzusteigen, aber die Abnehmer, die bereit sind, den höheren Preis auch zu bezahlen, sind aktuell zu wenige. Die Mehrkosten müssen auch erlöst werden. Der Schlachthof muss auch mehr draufschlagen, weil er extra sortieren muss, mehr Kosten hat.“

Versorgungssicherheit und Qualität

Schlederer verweist auch auf das Thema Versorgungssicherheit: „Das ist seit Corona up to date wie nie zuvor. Daher setzen wir auf Bewusstsein. Leider ist die Herkunft vielen egal, das ist unser Dilemma. Hungern werden wir nicht mit dem EU-Binnenmarkt, aber die Qualität der Lebensmittel wird sinken. Nur wenn man über den Tellerrand hinausschaut, weiß man, was man zu Hause hat, hier sind wir bei der Qualität an der Spitze.“

Wichtiger Partner Großfurtner

Tierwohl bedeutet auch für Verarbeitungsbetriebe wie den Schlachthof und die Molkerei großen Mehraufwand, unter anderem durch getrennte Anlieferungen, Differenzierungen und Sortierungen.

Als Schlachthof ein wichtiger Partner für die Landwirtschaft ist der Innviertler Betrieb Großfurtner. Bis zu 15.000 Schweine und 1.000 Rinder werden wöchentlich, darunter am Standort St. Martin im Innkreis, geschlachtet und vermarktet. Der Exportanteil liegt bei etwa 50 Prozent. Bezogen werden die Tiere von Direktlieferanten – Bauern im Umkreis von 20 bis 30 Kilometer, darunter auch aus Bayern, Viehhändler in OÖ und NÖ sowie über Erzeugergemeinschaften, besonders VLV und ARGE Rind.

Bei der Schlachtung setzt Großfurtner nicht auf die kritisierte Betäubung mittels CO₂, sondern auf elektrische, wie Rudolf Großfurtner erläutert. Großfurtner war auch der erste Betrieb in Österreich, der Rinderschlachtung nach den Kriterien von Professor Temple-Grandin einführte, im Jahr 2012.

Ebenfalls wichtig für das Tierwohl: Großfurtner gewinnt einen großen Teil der verbrauchten Energie aus den Abfällen der Tierverarbeitung, bei einem Blackout wäre ein Inselbetrieb für zwei bis drei Tage möglich. „Ich glaube, wir sind in Österreich der einzige Betrieb, der gewisse Zeit weiterfahren könnte. Unser Ziel: In den nächsten Jahren wollen wir es schaffen, den Standort St. Martin energieautark zu führen, wir sind nicht mehr weit davon entfernt.“

Diskussion um Kombi-Haltung

In Österreich ist die „dauernde“ Anbindehaltung von Rindern verboten, in Ausnahmefälle noch bis 2030 erlaubt. Die AMA-Marketing hat letztes Jahr den früheren Umstieg beschlossen, zur Weiterentwicklung des Gütesiegels für Milch und Milchprodukte. Beim AMA-Gütesiegel gibt es somit ab 2024 keine dauernde Anbindehaltung mehr auf Milchviehbetrieben. Gleiches gilt für Rindfleisch und Rindfleischprodukte. Um das AMA-Gütesiegel zu führen, müssen die Tiere mindestens 120 Tage im Jahr draußen sein.

Zu Gast war die Delegation auch bei Stefan Lindner, der gemeinsam mit seinem Bruder Andreas in Oberndorf bei Kitzbühel den Schörgerer Hof - ein Milchviehbetrieb und Rinderzucht, sowie einen Stall mit 60 Strohschweinen, rund 850 Freiland-Hühnern, Käserei und weiteren Standbeinen betreibt. Die Milchkühe leben im Laufstall und auf der Weide.

Lindner ist auch Obmann von Berglandmilch. Das Ziel müsse ein Laufstall sein, man dürfe die Landwirte aber nicht überfordern, so Lindner. Auch die Kombinationshaltung (im Sommer im Freien, im Winter angebunden) müsse „salonfähig“ sein. „Sonst verlieren wir genau die kleinen Betriebe, die die Gesellschaft nicht verlieren will“, so Lindner.

Er verweist auch auf die Bedeutung der Landwirtschaft für die Pflege der Kulturlandschaft und den Tourismus. Touristen würden sich im Urlaub grasende Kühe auf den Weiden und Almen erwarten.

Aktuell zählt nur der Preis

Dass aktuell generell der Preis im Regal zähle und diskutiert werde, sieht auch Josef Braunshofer, Generaldirektor von Bergland Milch. Das größte milchverarbeitende Unternehmen Österreichs ist im Eigentum von rund 9.000 Milchbauern und vereint Marken wie Schärdinger, Tirol Milch oder Latella. Berglandmilch hat vor fünf Jahren einen Tierwohlbonus eingeführt, mehr als 90 Prozent der Betriebe nehmen an dem freiwilligen Programm teil. „Alles, was die Gesellschaft will, macht das Produkt aber nicht günstiger“, so der Amstettner beim Delegationsbesuch bei Tirol Milch in Wörgl.

Auch für Braunshofer ist klar, dass eine Kombination von Anbindehaltung mit Alpung, Weide oder Auslauf der Tiere abgesichert bleiben müsse, um die Milchwirtschaft in den benachteiligten Gebieten zu erhalten. Aktuell passe der Absatz bei den Milchprodukten, „die Frage ist, wie werden sich die jungen Konsumenten künftig hinwenden?“.

„Nachfrage hat sich verschoben“

Eines von sechs TANN-Fleischwerken (SPAR) in Österreich steht in Wörgl, auch in Marchtrenk wird eines betrieben. Das bei TANN verarbeitete Rind-, Kalb- und Schweinefleisch ist ausschließlich aus Österreich und mit dem AMA-Gütesiegel ausgezeichnet, täglich 512 Tonnen.

Jährlich 50.000 Tierwohl-Schweine würden verarbeitet (drei Prozent, beim Rindfleisch seien es acht Prozent). Die Nachfrage habe sich aber verschoben, weiß TANN-Konzernleiter Andreas Stieglmayr aus Haag/Hausruck. „Wir müssen abwarten, der Konsument tut gerade das Gegenteil. S-Budget explodiert mit 50 bis 70 Prozent Zuwachsraten. Das obere Segment bleibt stabil, aber die Mittelschicht bricht weg. Das verschärft sich aktuell Woche zu Woche“, so Stieglmayr.

Planungssicherheit

Um den Ansprüchen und den (auch noch geplanten) gesetzlichen Änderungen zu genügen, brauche es jedenfalls Planungssicherheit und Übergangsfristen, betont Waldenberger. Es brauche einen Schritt nach dem anderen und dies vor allem gemeinsam als Landwirtschaft und Gesellschaft.

Seit Februar 2023 gibt es in Österreich übrigens auch den Verein „Tiergesundheit Österreich“, zur Weiterentwicklung und Absicherung der Tiergesundheits- und Tierwohlstandards.


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