Studie zu Jugendmilieus als Basis für neue Strategien gegen Jugendkriminalität
OÖ/LINZ. Eine Studie liefert Einblicke in jugendliche Submilieus im urbanen Raum, mit Linz und Wels als Blitzlichtern. Die daraus gewonnen Erkenntnisse sollen als Basis für Maßnahmen gegen Jugendkriminalität in Oberösterreich dienen. So ist eine zentrale Ableitung aus der Studie, dass sich die Jugend-Szene in den digitalen Raum verlagert hat, was auch digitale Präventionsangebote erfordert.
„Morgen wird Linz zu Athena“ und „Nicht Halloween, sondern Krieg“: Videos mit diesen Aussagen und Kommentaren kursierten auf der Plattform „TikTok“, bevor es am 31. Oktober 2022 zu Ausschreitungen in der Linzer Innenstadt kam, bei denen sich etwa 200 Jugendliche eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten.
Seither steht Jugendkriminalität verstärkt im Fokus der Politik – und der Öffentlichkeit. Eine Studie im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds unter der Leitung von Kenan Güngör hat nun untersucht, wie jugendliche Submilieus im urbanen Raum organisiert sind und mit welchen Maßnahmen sie zu erreichen sind. Dazu wurden rund 130 Experten aus der Jugend- Sozial- und Integrationsarbeit, Polizei und Community-Kenner befragt. In Oberösterreich wurden im Fokusgruppengespräch vor allem Linz und Wels betrachtet.
Mobilmachung im Internet
Eine wesentliche, wenn auch wenig überraschende Erkenntnis aus der Studie ist, dass sich die Jugendszene in den digitalen Raum verlagert hat. Dadurch wird es auch leichter, Aktionen zu organisieren, ein Posting in den sozialen Medien kann sich rasend schnell verbreiten, ein Schneeballeffekt tritt ein. Am Beispiel Halloween in Linz 2022 wird ersichtlich, was für ein Flashmob-artiges Mobilisierungspotenzial besteht. Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (VP) kündigt als Maßnahme neue Online-Präventionsangebote wie etwa digitale Streetwork an und fordert mehr Handlungsspielraum für die Polizei im Netz.
„Wir dürfen nicht wegschauen, wenn sich im Jugendbereich problematische Milieus bilden, die zu Integrationsverweigerung und Gewalt neigen. Falsch verstandene Toleranz wird uns in der Integrationspolitik nicht weiterbringen.“, so Hattmannsdorfer.
Jugendgruppen sehr unterschiedlich
Dass Mileus und „Bubbles“ an sich noch nicht problematisch sind, betont Soziologie und Studienleiter Kenan Güngör. „Das Problem ist, dass manche Milieus anfällig sind für Integrationsverweigerung. Es ist wichtig, zwischen integrationsfördernden, integrationsneutralen und desintegrativen (Migranten-)Milieus zu unterscheiden.“, so der Experte. Bei sogenannten desintegrativen Milieus seien Maßnahmen erforderlich, damit sich diese nicht von der Mehrheitsgesellschaft abwenden.
Beim Blick auf solche Milieus sind gewisse Trends erkennbar: die Gruppen wären zunehmend heterogen, so Güngör. Wenn innerhalb dieser Gruppe keine Ethnie und damit Sprache dominiert, wird Deutsch gesprochen. Auf den ersten Blick ein positiver Effekt, allerdings ist dabei eher eine verkürzte Jugendsprache gemeint, bei der Begriffe eingedeutscht werden. Zweitens: im öffentlichen Raum sind vor allem junge Männer sichtbar, Mädchen verbringen ihre Freizeit häufiger in der häuslichen Umgebung. Daraus lässt sich ableiten, dass Mädchen besser über Schulsozialarbeit erreicht werden bzw. Frauen gezielt angesprochen werden müssen, um eine Emanzipation aus konservativ-religiösen Familienstrukturen zu ermöglichen.
Lose Szene-Zugehörigkeit
Durch die Online-Vernetzung entstehen eher lose Szenen, die ortsunabhängig funktionieren, starre Gruppenzugehörigkeiten lösen sich auf, ein Wechseln zwischen den Szenen ist eher Regel als Ausnahme. Dennoch verbleiben die Jugendlichen dabei in ihrer sozialen Schicht. Hier sieht der Integrationslandesrat einen weiteren Hebel: Wer den sozialen Aufstieg nicht schaffe, der sei anfälliger für Radikalisierung. Daher sollen Angebote künftig auf bestimmte Jugend-Milieus und Communitys abgestimmt werden. Während man früher Angebote an der Herkunft orientiert habe, finde nun ein Paradigmenwechsel statt.
Ultranationalismus und Islamismus nehmen in manchen Gruppen zu
Die Studie zeigt auch, dass Jihadismus-Sympathien abnehmen, das Scheitern des islamischen Staats hat eine Abkehr bewirkt. Die schlechte Nachricht: Ultranationalismus und Islamismus oder ein konservatives Islamverständnis nehmen in Teilgruppen zu. Hier sind vor allem homophobe und sexistische Tendenzen ein Problem. Hier will Hattmannsdorfer mit einem Ausbau der bestehenden Werteschulungen und Orientierungskursen gegensteuern. Auch die Community-Peer-Ausbildungen sollen ausgeweitet werden: dabei werden Migranten zu Coaches innerhalb der Community ausgebildet und vermitteln dort liberal-demokratische Werte.
Zudem sollen die Jugendkontaktbeamten personell aufgestockt werden, derzeit sind zehn nebendienstliche Kräfte unter der Leitung von Bezirksinspektor Michael Maurer im Einsatz. Maurer resümiert bei der Präsentation der Studie: die Erfahrungen aus der Jukob-Arbeit würden sich mit den Studienergebnissen decken. Man müsse den Jugendlichen Perspektiven bieten, gleichzeitig aber auch einfordern, dass sie bestehende Angebote annehmen. Jugendkriminalität könne nicht alleinige Aufgabe der Polizei sein, gefragt sei eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Zum Tips-Interview mit Jukob-Leiter Michael Maurer
Reaktionen aus der Landespolitik
FPÖ-Landesparteisekretär Michael Gruber begrüßt die angekündigten Präventionsprogramme, spricht aber von „strafferen Zügeln“ die es geben müsse, wenn die Angebote in den Gruppierungen keinen Erfolg bringen. Auch habe die Entwicklung in Israel „ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass in Österreich ein riesiges Integrationsproblem besteht“, so Gruber. Er spielt darauf an, dass nach dem Angriff der Hamas auf Israel in Wien Pro-Palästinensische Demonstrationen stattfanden.
Die SPÖ-Klubvorsitzende Sabine Engleitner-Neu begrüßt ebenfalls die Ansätze zur Gewaltprävention, kommt aber zu einem anderen Schluss als Gruber: die Schwarzblaue Landesregierung schaffe ein „Klima der Feindseligkeit und ausländerfeindlichen Vorurteile“, dass keinesfalls integrationsfördernd sei. „Echte Integration gelingt nur in Respekt vor dem einzelnen Menschen und dem Anbieten von Chancen und Möglichkeiten in der aufnehmenden Gesellschaft. Dann sind Submilieus und Parallelgesellschaften auch kein Thema“, so Engleitner-Neu.
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