Gendermedizin: Bei Themen der Frauengesundheit gibt es Nachholbedarf
ROHRBACH-BERG/LINZ. Wie in so manchen Bereichen herrscht auch im Gesundheitswesen eine Kluft zwischen Mann und Frau. Diese biologischen und psychosozialen Unterschiede auszugleichen und Behandlungen zu optimieren, ist Ziel der Gendermedizin.
Der Herzinfarkt ist das wohl bekannteste Beispiel dafür, dass Krankheitssymptome bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt sind. Das ist mit ein Grund, warum die Diagnose eines solchen bei weiblichen Patienten oft viel länger dauert als bei männlichen. Migräne oder Osteoporose wiederum werden eher bei Frauen diagnostiziert und bei Männern weniger berücksichtigt. „Gendermedizin will beide Geschlechter betrachten. Die Fachrichtung untersucht sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Mann und Frau“, erläutert Julia Röper-Kelmayr. Die Ärztin aus Linz ist Leiterin des Instituts für Radiologie am Klinikum Rohrbach und bei der Ärztekammer Österreich im Referat Gender Mainstreaming aktiv sowie Leiterin des Ärztinnenreferates der Ärztekammer OÖ.
Zunehmende Bedeutung
Sie ist überzeugt, dass Gendermedizin immer mehr Eingang in die Medizin finden wird und auch muss. „Ich halte es für sehr wichtig, dass bereits angehende Medizinerinnen und Mediziner diese Fachrichtung lernen. Gendermedizin ist für mich eine Querschnittsmaterie. Gerade in Österreich wurde im universitären Bereich und der Gesundheitsversorgung bereits hervorragende Arbeit geleistet.“
Krankheiten wurden bei Männern erforscht
Gendermedizin ist nicht gleich Frauengesundheit, stellt die Primaria klar. Aber die Forschungen hätten gezeigt, dass es Nachholbedarf bei Frauengesundheitsthemen gibt. „Historisch bedingt, basiert das Wissen und das grundlegende Verständnis von Krankheiten auf Erforschung dieser Krankheiten bei Männern. Bei Studien sind Frauen stark unterrepräsentiert. Wir wissen aber, dass sich Krankheiten bei Frauen und Männern unterschiedlich zeigen können“, sagt Röper-Kelmayr. Das liegt nicht nur an augenscheinlichen Abweichungen, wie dem anatomischen Körperbau, sondern auch am unterschiedlichen Immunsystem, Herz-Kreislaufsystem, Hormonhaushalt oder Stoffwechselsystem. Daneben sind Faktoren, wie Alter, ökonomische Verhältnisse und soziale Herkunft, richtungsweisend für das Gesundheitsbewusstsein, die Entstehung von Krankheiten sowie deren Diagnose und Behandlung. „Wenn wir diese Überlegungen bei der medizinischen Versorgung offen und transparent benennen und berücksichtigen, praktizieren wir geschlechts- oder genderspezifische evidenzbasierte Medizin.“
Datenlücke bei Frauen
Zwischen Männern und Frauen gibt es neben den biologischen Unterschieden – also hormonelle, anatomische oder genetische Unterschiede – auch psychosoziale. So ist nicht nur das Kommunikationsverhalten unterschiedlich, auch das Gesundheitsbewusstsein oder der Lebensstil. Frauen gehen eher zum Arzt und kümmern sich um die Gesundheit der ganzen Familie. Auch Medikamente wirken bei Frauen anders als bei Männern. „Obwohl sich Gendermedizin langsam etabliert, werden viele Medikamente fast ausschließlich an Männern getestet. Das bedeutet, dass es zu wenige Daten zu Frauen gibt“, weist Julia Röper-Kelmayr auf eine Lücke hin. Der niedrige Frauenanteil bei Studien war der Sorge geschuldet, eine mögliche Schwangerschaft oder hormonelle Schwankungen könnten das Gelingen einer Studie gefährden oder die Ergebnisse verfälschen; hinzu kommt die Angst vor möglichen Spätfolgen eines Medikamententests bei einer Schwangerschaft (Beispiel Contergan-Skandal). Ziel der Gendermedizin ist jedenfalls eine gleichermaßen frauen- und männergerecht optimierte Behandlung.
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden