„So wie mir geht es ganz, ganz vielen Frauen im ländlichen Raum“
JULBACH. „Herr Landeshauptmann, ich werde mein Kind bei Ihnen abgeben – mangels Alternative“: Mit einem bewusst provokativem Brief hat sich die Julbacherin Christiane Seufferlein via Facebook und Mail an den oö. Landeschef Thomas Stelzer gewandt. Sie will damit aufzeigen, dass eine kostenpflichtige Nachmittagsbetreuung in den Kindergärten viele Familien im ländlichen Raum vor riesige Probleme stellt.
Christiane Seufferlein ist Mutter einer Tochter, hat sich gemeinsam mit ihrem Mann vor zwei Jahren ein Haus in Julbach gekauft und pendelt drei Mal in der Woche zur Arbeit nach Linz. Die Kleine ist seit Herbst im Kindergarten. Eine ganz und gar typische Situation, also. Jetzt allerdings steht alles auf der Kippe, wie sie in ihrem Brief schreibt: „Die Kindergartengebühren sind für mich und meine Familie existenzbedrohend. Diese Gebühr kostet mich nämlich keine 50 oder 100 Euro, sie kann mich meinen Job kosten.“
Erforderliche Kinderzahl kommt nicht mehr zustande
Der Grund ist schnell erklärt: „In einem kleinen Kindergarten wie Julbach haben viele Mütter aus Solidarität ihre Kinder auch nachmittags in den Kindergarten gebracht, damit die Gruppe überhaupt zusammen gekommen ist. Diese Solidarität hört aber auf, wenn's 100 Euro kostet“, sagt Christiane Seufferlein, „für jene, die die Nachmittagsbetreuung wirklich brauchen, ist das ein Spießrutenlauf.“
Viel zu wenig durchdacht
Die Julbacherin kritisiert außerdem die Kürze der Zeit, in der das Vorhaben abgewickelt werden soll: Denn schon Anfang des Jahres soll die Nachmittagsbetreuung wieder etwas kosten. „Innerhalb dieser wenigen Wochen kann man keine Alternative andenken, denn der Platz bei der Tagesmutter ist weg. Es geht mir nicht darum, dass der Kindergartenplatz gratis sein muss, aber die Sicherheit für eine Kinderbetreuung brauche ich“, ergänzt Seufferlein. „Was tue ich, wenn es wirklich soweit kommt – soll ich meine Tochter mit nach Linz nehmen?“, fragt sie sich – so wie sie es auch schon in ihrem Schreiben an Landeshauptmann Thomas Stelzer getan hat: „Ich hoffe, Sie haben im Landhaus einen netten Raum mit viel Spielzeug und eine gut ausgebildete Fachkraft für Kinderbetreuung.“ Denn dorthin werde sie halt ihre Tochter mangels Alternativen bringen.
„Wollte einfach laut aufschreien“
Seufferlein wollte mit ihrer provokanten Aktion aufzeigen, dass die Kindergartengebühren existenzbedrohend sind – „nicht nur für zwei, drei Leute, sondern für ganz, ganz viele Familien im ländlichen Raum. Es geht nicht um die 50 Euro, sondern da hängt viel mehr dran. Und darüber hat sich wohl niemand Gedanken gemacht.“ Sie würde sich wünschen, dass sich Stelzer meldet und einmal nachfragt, was Familien wirklich brauchen.
Dass sie mit ihrer Aktion ins Schwarze getroffen hat, zeigen die vielen positiven Reaktionen auf Facebook. „Dem ist nichts hinzuzufügen. Stark!“, „So mutige Frauen braucht die Gesellschaft“, heißt es etwa, oder: „Ich bring meine Tochter auch gern hin“.
Besonders brisant werden die Gebühren für Alleinerziehende, die sich fragen müssen, ob sich ein Job überhaupt noch rentiert. „Das Gesetz treibt sie zurück in die Mindestsicherung, da kann doch kein Sparpotenzial drinnen sein“, meint Christiane Seufferlein.
Hier geht's zur Facebook-Seite von Christiane Seufferlein
Und hier der Brief zum Nachlesen:
Sehr geehrter Herr Stelzer,
Ihre Kindergartengebühren sind für mich und meine Familie existenzbedrohend. Diese Gebühr kostet mich nämlich keine 50 oder 100 Euro, sie kann mich meinen Job kosten. Dabei habe ich, geht man vom Wertekanon ihrer Partei aus, alles „richtig“ gemacht: Ich bin verheiratet, habe eine gute Ausbildung, einen guten Job, ein Kind und damit eine künftige Steuerzahlerin in die Welt gesetzt und vor zwei Jahren ein Haus gekauft – eine Maßnahme, die von ihrem Parteichef Sebastian Kurz ausdrücklich zur Vermeidung von Altersarmut empfohlen wird. Wir waren guter Dinge mit zwei Einkommen all das finanzieren zu können.
Meine Tochter ist gerade inden örtlichen Kindergarten gekommen. Ich kann an drei Tagen in der Woche somit meinem Beruf in Linz nachgehen. Innerhalb von nur wenigen Wochen steht nun all das auf der Kippe:
· In unserem Kindergarten gäbe es mit Gebühren keine Nachmittagsbetreuung mehr weil wir die erforderlichen 10 Kinder nicht zusammenbringen.
· Der Platz bei der Tagesmutter, den wir sogar hatten, ist weg.
· Bei Öffnungszeiten von 7:00 bis 12:00 ist es für mich unmöglich weiter meinen Job in Linz auszuüben, da ich insgesamt knappe 3 Stunden Fahrtzeit pro Tag habe.
· Die Einführung dieser Maßnahme mit Jahresbeginn nimmt mir jede Möglichkeit mich auf die neue Situation einzustellen oder Alternativen zu suchen.
Haben Sie die Tragweite dieser Maßnahme gegen die „Gratismentalität“ nicht durchdacht oder ist es ihnen völlig egal, dass sie mit einer derart überstürzten Einführung von Kindergartengebühren Existenzen vernichten? Was sagen Sie mir? Was sagen Sie allen alleinerziehenden Mamas, die sich bemühen ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und die bitter angewiesen sind auf die Nachmittagsbetreuung? Was sagen Sie zu den Kindergartenpädagoginnen die mitten im Jahr plötzlich nur mehr halb so viele Arbeitsstunden und damit wohl nur mehr halb so viel Geld am Konto haben?
Chancen statt Schulden ist ihr Wahlspruch – Sie nehmen mir und unzähligen anderen Frauen im ländlichen Raum mit dieser Maßnahme alle Chancen und die Möglichkeit unsere Schulden zurückzuzahlen.
Ich hoffe, Sie haben im Landhaus einen netten Raum mit viel Spielzeug und eine gut ausgebildete Fachkraft für Kinderbetreuung sobald diese Maßnahme in Kraft tritt. Ich werde nämlich ihre Rolle als LandesVATER sehr ernst nehmen und meine Tochter bei Ihnen abgeben. Mangels Alternativen.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Seufferlein
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16.11.2017 01:04
Kostenpflichtige Nachmittagsbetreung
Das ist typisch, zuerst wird der Kindergarten gratis gemacht so können die Mütter in Ruhe arbeiten die Kinder sind ja gut versorgt und dann fährt man knallhart darüber. Das nennt man dann sozial.Alleinerziehende Mütter oder Väter die auf diese Betreuung angewiesen sind lässt man im Regen stehen.Es gibt ja genug die sich das gar nicht leisten können oder auch am Land.Ich finde es gut dass Frau Seufferlein einen Brief an den Landeshauptmann geschrieben hat.Er sollte eigentlich nachdenken wenn er in dieser Lage wäre wie es ihm dann gehen würde.Unsere Politiker verdienen so viel Geld dass sie übersehen das genug Leute nur davon träumen können jemals so viel zu verdienen.Da wird an der falschen Seite gespart.