Barrierefreiheit in Wels: Betroffene schildern Alltag mit Hindernissen
WELS. Vor der Tür am öffentlichen WC am Stadtplatz hängt die Tafel für Rollstuhlfahrer. Piroska Szollar macht den Versuch mit ihrem Elektrorollstuhl. Durch die Tür kommt die 59-Jährige noch, aber Wenden ist unmöglich: „Mit einem normalen Rollstuhl könnte es gehen, aber mit meinem E-Gerät keine Chance“, sagt sie. Eine von vielen Problemstellen in der Stadt.
„Man wird mit der Zeit erfinderisch, damit man durchkommt. Aber das darf nicht so sein“, erzählt Szollar. Gemeinsam mit Kathrin Kaufmann wandte sie sich an die Tips-Redaktion, um auf verschiedene Problemstellungen aufmerksam zu machen. Getroffen hat man sich am Stadtplatz, denn auch die Tips-Geschäftsstelle ist nicht barrierefrei. Eng ist es in vielen Geschäften, oder eine bzw. mehrere Stufen – egal ob Lebensmittler oder Handel – erschweren das Eintreten. Bei Behörden oder Gesundheitseinrichtungen ist „barrierefrei“ ein dehnbarer Begriff, wenn es nach den beiden Frauen geht, die auch viele Erfahrungen anderer Betroffener im Gepäck haben.
„Mit uns reden“
„Vieles ist nicht barrierefrei und schon gar nicht behindertengerecht. Warum fragt uns keiner vor Bauvorhaben oder bei Projekten, auf welche Bedürfnisse man eingehen muss? Es ist besser, mit uns zu reden als über uns“, sagt Kaufmann, die dieses Gespräch angeregt hat. „Vielen sieht man die körperliche Beeinträchtigung nicht an. Es gibt aber auch viele, die bei zu viel Lärm oder Licht Probleme bekommen. Das wird nicht mitbedacht“, meint Kaufmann.
Beim Wels Marketing hat sie sich erkundigt, ob es barrierefreie Möglichkeiten in der Gastronomie und im öffentlichen Leben gibt: „Ich bekam eine Liste mit Lokalen, aber da ist eines dabei, wo die Toilette im Keller ist. Für Rollstuhlfahrer ist es unmöglich, und gehbeeinträchtigte Menschen haben es auch schwer“, sagt Kaufmann. Der Besuch von Veranstaltungen oder in der Gastronomie ist mit viel Recherchearbeit verbunden. „Wie sind die Wege, wo sind die Toiletten, kann ich die überhaupt erreichen, wo kann ich parken und so weiter. Es ist viel Aufwand“, so Kaufmann. Und dann ist man doch immer wieder auf fremde Hilfe angewiesen – auch wenn es nur um das Überwinden einer Stufe geht.
Positive Beispiele
„Es gibt aber auch positive Beispiele. Beim Schlachthof kann ich die Veranstaltungen gut verfolgen. Die Menschen nehmen Rücksicht, auch bei anderen Orten ist eine Teilnahme möglich. Aber der Besuch eines Cafés ist schwierig“, ergänzt Szollar. Auch beim Stadttheater kann man zwar jetzt mit dem Auto zufahren, aber im Gebäude selbst wird es mit einem Rollstuhl oder bei Gehbeeinträchtigung sehr schwer: „Und da rede ich noch gar nicht vom Rathaus. Es ist ein altes Haus, das ist mir klar. Aber Behördengänge sind allgemein sehr aufwendig und mühsam, gerade im Rathaus“, fasst die 59-Jährige zusammen.
„Behörden und Arztbesuche bleiben Herausforderung“
Hier ergänzt Kaufmann: „Das betrifft auch den Besuch bei Ärzten, wo es für viele – egal ob blind oder im Rollstuhl – nicht einfach ist. Es ist oft bei Behörden schwierig zu unterschreiben, wenn man im Rollstuhl sitzt oder kleinwüchsig ist, weil die Tresen zu hoch sind. Es sind viele Dinge, die man leicht ändern könnte, wenn man vorher die Menschen fragt, die es betrifft und die tagtäglich mit Einschränkungen leben müssen.“
Gehsteigkanten und wenige Behinderten-Parkplätze
Für Szollar geht es auch um Gehsteigkanten oder Rampen, die zu steil sind, um gefahrlos befahren oder begangen zu werden: „Mehr Behindertenparkplätze wären auch gut. Vor allem muss man die Markierungen regelmäßig nachziehen und kontrollieren. Bei vielen Plätzen stehen auch immer Autos ohne Behindertenzeichen. Passieren tut nichts.“
Und oft muss man anläuten, damit jemand kommt und hilft. Man fühlt sich wie ein Bittsteller: „Wir haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Die Verjährungsfrist beim Barrierefreiheitsgesetz ist abgelaufen. Barrierefreie Zugänge und vieles mehr sind gesetzlich vorgeschrieben“, so Kaufmann. Sie betont, dass sie nicht nur für sich selbst spricht: „Viele werden so in die Isolation gedrängt und können am öffentlichen Leben nicht teilnehmen.“
Finanzielle angespannte Situation
Dazu kommt das Thema Geld: „Denn die finanzielle Situation von Behinderten ist seit jeher zum größten Teil prekär, und wir bekommen nicht die Hilfe, die wir brauchen und die uns zusteht. Dass man vom Arbeitsmarkt rigoros ausgeschlossen oder aussortiert wird, weil die Bereitschaft fehlt, sich mit der Thematik Inklusion am Arbeitsplatz – das Recht auf Arbeit ist im Übrigen auch ein Menschenrecht – zu befassen, verschärft das Ganze enorm.“
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