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Rechtsextremismus-Forscher Andreas Peham: "Man hat zu lange zugesehen"

Tips Logo Anna Fessler, 25.07.2023 11:35

LINZ/STEYREGG/BRAUNAU. In den letzten Wochen häuften sich in Oberösterreich Vorfälle, die den öffentlichen Blick auf das Thema Rechtsextremismus lenkten. Sei es der Fund eines Waffenarsenals in der Neonazi-Szene, NS-Tattoos im Freibad Braunau oder die Kritik des Mauthausen Komitees an Personalentscheidungen der Stadt Linz. Tips hat dazu mit Rechtsextremismus-Forscher Andreas Peham gesprochen.

Rechtsextremismus-Forscher Andreas Peham (Foto: Daniel Shaked/DÖW)
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Viel Aufmerksamkeit erhielt der Waffenfund im Umfeld der Bandidos, die sich mit dem neonazistischen Verein „Objekt 21“ vernetzt hatten. Der Brandanschlag auf ein sich damals im Aufbau befindliches Asylquartier in Linz im März 2023 hingegen scheint mittlerweile wieder aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden. Im Juni lobt der AfD-Politiker Roger Beckamp in den sozialen Medien die rechtsextremen Identitären für „die erfolgreiche Entwicklung des patriotischen Hausprojekts 'Castell Aurora' im oberösterreichischen Linz nahe der deutschen Grenze.“ (Anm.: Das Identitären-Zentrum befindet sich in Steyregg.) Auch Martin Sellner war dort schon zu Gast.

Burschenschaften empört über Erwähnung im Aktionsplan gegen Extremismus

Nachdem deutschnationale Burschenschaften im OÖ Aktionsplan gegen Extremismus unter dem Punkt „Rechtsextremismus“ Erwähnung finden, übt die Burschenschaft Arminia Czernowitz Linz Kritik am freiheitlichen Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner und der Landes-FPÖ aufgrund der Zustimmung zum Aktionsplan. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker bezeichnete die Einschätzung des Verfassungsschutzes als „Geschwurbel“, Haimbuchner kündigte medial an, sich für Nachjustierungen im Extremismusbericht einzusetzen.

Zahlenmäßig liegt Oberösterreich bei rechtsextremen Straftaten regelmäßig an der Spitze, mit 190 Fällen erreichte das Bundesland 2022 den unrühmlichen zweiten Platz hinter Wien. Bei Anzeigen nach dem Verbotsgesetz war Oberösterreich Spitzenreiter. Die Öffentlichkeit erfährt das nur deswegen, weil die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz jährlich parlamentarische Anfragen an den Innenminister richtet. Was macht das Bundesland so anziehend für Rechtsextreme?

Tips: Rechtsextrem und rechtsradikal werden oft synonym verwendet – wie unterscheiden sich diese Begriffe?

Andreas Peham: Da ist das Problem, dass die deutsche Begrifflichkeit nach Österreich überschwappt. In Deutschland bedeutet rechtsextremistisch (hier besteht ein kleiner Unterschied zum Begriff rechtsextrem) gleich verfassungsfeindlich. Dem ist in Österreich nicht so, hier ist der Extremismus legal, es gibt nur das Verbotsgesetz. In Österreich unterscheiden wir nicht zwischen rechtsextremistisch und rechtsradikal, sondern wir unterscheiden zwischen neonazistisch und rechtsextrem. Der Neonazismus ist jener Teil der extremen Rechten, der offen gewalttätig ist oder zur Gewalt aufruft und die liberale Parteiendemokratie frontal angeht. Der Rechtsextremismus hat sich mit der liberalen Parteiendemokratie zumindest als Form arrangiert – mit den Inhalten nicht. Da könnte man sich fragen, wie der Rechtsextremismus, der die Gleichheit aller Menschen ablehnt, sich gleichzeitig demokratisch geben kann. Das tut er, indem er die Demokratie ausschließlich auf eine Herrschaftsform reduziert, nicht die Werte inkludiert.

Tips: Nach dem Vorfall im Freibad Braunau wurde der Polizei vorgeworfen, zu wenig unternommen zu haben. Der Einsatz wird gerade – nach politischem und medialen Druck – polizeiintern überprüft. Nehmen die Behörden das Problem Rechtsextremismus ernst genug?

Andreas Peham: Bei der FPÖ - egal ob man sie als rechtsextrem, wie wir beim DÖW, oder als rechtspopulistisch bezeichnet - leugnet man das Problem. Es muss unbestritten sein, dass es rechts von der FPÖ keine Partei gibt, daher sind Berührungspunkte mit dem „Narrensaum“ wenig überraschend. Mehrheitlich wird man der Verantwortung jedoch nicht gerecht, man leugnet das Problem, redet es klein. Seitens der Behörden wurde das Problem nach den Razzien auf den kriminellen Aspekt reduziert, der politische wurde ausgeblendet, nur von „Rockerkriminalität“ geredet. Aber erst in Verbindung mit dem Neonazismus, mit Objekt 21, entsteht das richtige Gesamtbild. Ich würde auch sagen, je weiter man in der Hierarchie hinaufgeht – das zeigt auch der Lagebericht vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) im OÖ Aktionsplan gegen Extremismus – desto ausgeprägter ist das Problembewusstsein. Wir sind aber immer wieder mit untätigen Beamten konfrontiert. Polizisten sind Teil der Gesellschaft, und so wie diese lange Zeit das Auge verschlossen hat, schleicht sich eine gewisse Normalisierung ein.

Tips: Oberösterreich liegt bei rechtsextremen Straftaten regelmäßig im Spitzenfeld, welche Gründe hat das?

Andreas Peham: Das hat mehrere Gründe, zunächst historische. Das 3. Lager ist zu 98 Prozent in den Nationalsozialismus übergelaufen bzw. hat diesen auch mit hervorgebracht. Dieses 3. Lager ist gerade in Oberösterreich verankert, wie ansonsten nur in Kärnten. Jünger zurückliegende Ursachen findet man im Jahr 1945, als NS-Mitglieder über die Donau geflohen sind, im nicht ganz unberechtigten Glauben, dort milder behandelt zu werden. Eine Rolle spielt auch die Grenznähe zu Bayern, dort haben wir eine der aktivsten und gefährlichsten Neonazi-Szenen im gesamten westdeutschen Raum, die sind mit der OÖ-Szene eng in Kontakt. Bereits in den Neunzigern konnte sich dadurch eine so feste Neonazi-Szene in Oberösterreich etablieren, wie sonst nur in Vorarlberg. Es ist natürlich schwieriger, gefestigte Strukturen zu zerschlagen, als sie am Aufbau zu hindern. Man hat zu lange zugesehen, wie beispielsweise bei Objekt 21.

Tips: Welche Rolle spielen die Burschenschaften?

Andreas Peham: Die sind in Oberösterreich nicht so mächtig wie in Wien. Linz ist eine relativ junge Universitätsstadt, die Burschenschaften und Corps in Oberösterreich haben nicht so eine lange Tradition. Aber innerhalb der FPÖ und in ihrem Vorfeld und Umfeld spielen sie eine sehr wichtige Rolle, vor allem die Arminia Czernowitz Linz. Zudem gibt es in keinem Land auf die Bevölkerung hochgerechnet so viele pennale Burschenschaften, die freilich nicht alle rechtsextrem sind, aber sie können Jugendliche ins Milieu bringen, Richtung akademische Burschenschaften und Mensurfechten. Bei den Jugendlichen sind sie tatsächlich eine Macht. Burschenschaften sind problematischer als die Corps, letztere sind politisch nach ihren Satzungen nicht so eindeutig ausgerichtet.

Tips: Wie problematisch ist die Arminia Czernowitz?

Andreas Peham: Vom DÖW wird sie aus mehreren Gründen dem rechtsextremen Milieu zugeordnet, ein nach wie vor unerreichtes Beispiel war die Bewerbung einer Veranstaltung mit einem Sujet der NSDAP. Bis heute gibt es dafür keine Entschuldigung oder Distanzierung. Ich hatte viel Kontakt zur Arminia, auch zu den alten Herren, das Problem sind eher die Jungen. Die Arminia ist nun zwar auf Druck der alten Herren nicht mehr in der burschenschaftlichen Gemeinschaft, unterstützt aber gewisse Positionen derselben. Es gibt auch burschenschaftliche Stimmen, die das eigene Tun und die eigene Geschichte kritisch sehen.

Tips: Es ist also nicht per se problematisch, dort Mitglied zu sein?

Andreas Peham: Nein, ist es nicht, aber es stellt sich die Frage, warum bei der Arminia, warum nicht zu einem Corps. Es könnte also auch eine politische Entscheidung sein, oft sind es Familientraditionen. Problematisch wird dann erst die aktive Beteiligung an rechtsextremen Aktivitäten, wie etwa die Miteigentümerschaft an einer rechtsextremen Zeitschrift, die gegründet wurde von Leuten, die aus dem Neonazismus kommen.

Tips: Zum Thema Neonazismus: den OÖN gegenüber meinten Sie, die Gefahr durch neonazistischen Terror sei so hoch wie seit den Neunzigern nicht, warum?

Andreas Peham: Es gibt so viele Waffen in der Szene wie noch nie. Objekt 21 waren Vorreiter, diese Verbindung zur organisierten Kriminalität hat der Szene einen Zugang zu Waffen geschaffen, der vorher nicht gegeben war. Zweitens, noch nie gab es mehr Leute, die sozusagen noch im Kinderzimmer am Computer sitzend, so fanatisiert sind, dass ein Tropfen reicht, damit sie zuschlagen. Die Leichtigkeit, mit der man an Waffen kommt, die ideologisierte Verblendung, die Paranoia – das ist eine gefährliche Mischung.

Tips: Wer ist anfällig dafür, in rechtsextreme oder Neonazi-Kreise zu geraten?

Andreas Peham: Unter bestimmten Umstände alle. Eine begünstigende Variable für Fanatisierung ist Einsamkeit und die Angst davor, gerade bei Jugendlichen. Der nächste Faktor ist übermäßige Angst, wobei das alleine noch nicht reicht. Hat jemand eine überbordende Angst, etwa vor dem sozialen Abstieg, kann sich diese unter Einfluss bestimmter Diskurse in Hass umwandeln. Bei Präventionskursen sage ich den Jugendlichen immer, die Angst, die Wut, das ist normal, redet darüber. Der männliche Überhang im Extremismus ist dadurch zu erklären, dass die Jungs viel mehr angehalten werden, ihre Ängste zu verdrängen. Nur verdrängte Angst wird zum Hass. Ein Beispiel: Angst vor Verarmung wird zu Hass auf die Armen und Ärmsten. Ich muss aber nicht beim Hass ansetzen sondern bei der Angst. Die Rechtsextremen haben Interesse daran, dass die Menschen mehr Angst haben. Klar, wer Angst hat, ruft nach einer starken Hand, einem Führer, nicht nach mehr Demokratie. Wir müssen ein Interesse daran haben, die Gründe für die Angst schwächer zu machen, etwa durch sozialpolitische Maßnahmen. Prävention kann nicht nur im Bildungsbereich liegen, muss alle Politikfelder, alle Gesellschaftsbereiche durchziehen und muss die Verringerung von Ängsten enthalten. Das halte ich für ganz zentral.

Tips: Finden Personen, die aus der Neonazi-Szene aussteigen möchten, genug Unterstützung?

Andreas Peham: Nein, das ist tatsächlich ein Problem in Österreich. Wir verlangen schon seit Langem solche Projekte, auch wenn es bereits Pilotprojekte gibt. Es müsste eine unabhängige NGO sein, die professionelle Ausstiegsarbeit leistet. Zum einen zum Schutz der Personen selbst, zum anderen zur Schwächung der Neonazi-Szene.

Tips: Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Was können Einzelne dagegen tun?

Andreas Peham: Ich weiß, es ist anstrengend, aber in der Umgebung, im Dorf, am Stammtisch aufmerksam sein, die Leute darauf hinweisen. Man muss nicht gleich mit dem Gesetz drohen, aber auf die Problematik hinweisen. Jeder und jede soll in dem Bereich, in dem er oder sie sich wohlfühlt, sein Engagement einsetzen. Am erfolgreichsten ist übrigens das indirekte Angehen, wenn man die Leute argumentativ konfrontiert, macht es das vielleicht nur schlimmer.

Tips: Was meinen Sie konkret mit indirektem Angehen?

Andreas Peham: Wenn jemand etwa sagt: „Die liegen alle nur in der Hängematte herum, die bekommen alles serviert“, da hilft es nicht, wenn ich versuche das mit Statistiken zu widerlegen. Ich versuche stattdessen herauszufinden, woher das kommt. Vielleicht hat die Person den Wunsch danach auch mal faul sein zu dürfen, versorgt zu werden. Dann könnte man sagen „Ach ja, jetzt wo du es sagst... ich würde auch gerne mal nicht aufstehen müssen in der Früh, liegen bleiben können, das wäre fein“. Das sind Beispiele aus der Präventionsarbeit mit Jugendlichen. Und wir reden dann nicht mehr über Ausländer und Flüchtlinge, sondern über die Sehnsucht danach, versorgt zu werden und darüber, wie schwer es in einer Leistungsgesellschaft ist, mit Wünschen nach Faulheit anders umzugehen als sie zu verdrängen.

Tips: In den Neunzigern hat man Rechtsextremismus häufig mit Skinheads in Bomberjacke und Springerstiefeln in Verbindung gebracht, wer sind heute die zentralen Plaxer?

Andreas Peham: Nehmen wir den Überbegriff „extreme Rechte“. Im Neonazismus sind die zentralen Player nach wie vor, diejenigen, die früher Skinheads waren. Nicht mehr in dem Ausmaß, aber im Neonazismus ist das eine starke Subkultur – wobei nicht alle Skinheads Neonazis waren und nicht alle Neonazis Skinheads. Es gab nämlich eine zweite Fraktion, die zunehmend wichtiger wurde in den letzten Jahren – die Skinheads nennen sie „Scheitel“, erkennbar an der Pseudo-Hitlerjugend-Frisur. Dann gibt es die Identitären, die zwar keine Neonazis sind, aber mehrheitlich Neonazi-Vergangenheit haben. Die wissen genau, wie sie ihre Aktionen und Texte gestalten, damit sie nicht mit dem Verbotsgesetz in Konflikt kommen. Das wären die zentralen Player. Im legalen Rechtsextremismus sind die zentralen Kaderschmieden die deutschnationalen Korporationen. Es gibt keine Menschen von Relevanz im organisierten Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, der nicht zumindest kurz bei einer solchen Studentenverbindung dabei war. Mit der prominenten Ausnahme Herbert Kickl.

Tips: Die Identitären haben in Steyregg, nahe Linz, ein Zentrum errichtet, der Staatsschutz widmet dem besondere Aufmerksamkeit. Was wollen die Identitären?

Andreas Peham: Die wollen Jugendliche in ihrem Sinn, Richtung Rechtsextremismus, fanatisieren. Dazu haben sie ein vielfältiges Angebot, wir haben es wirklich zu tun mit rechtsextremer „Sozialarbeit“, es funktioniert sehr niederschwellig. Je länger sie dort sind, desto mehr Jugendliche sind potentiell in Gefahr, in dieses Milieu hineingezogen zu werden. Wobei die Identitären, und da weißt auch das LVT darauf hin, sind der Eingang, die Jugendlichen können sich dann auch weiter fanatisieren Richtung Neonazismus. Weil eben gerade in Oberösterreich die Grenze zwischen Rechtsextremen, „neuen Rechten“, Identitären und Neonazis, wie auch die Polizei sagt, zunehmend am Verschwimmen ist.

Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ist ein österreichischer Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher mit den Forschungsschwerpunkten Rechtsextremismus und Neonazismus (unter Jugendlichen), Burschenschaften, Antisemitismus und Rassismus, Holocaust-Education sowie Islamismus und Rechtsextremismus.

 


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